«An den Gesetzentwurf gehen» - Debatte über Waffenrecht nach Amoktat Von Wolfgang Müller, Ann-Beatrice Clasmann und Sönke Möhl, dpa

Zur Amoktat von Hamburg werden mehr Details bekannt - auch über den
35 Jahre alten Täter. Viele Fragen sind aber auch weiter offen. Eine
politische Dauer-Diskussion und ein Streitthema der Koalition werden
wieder angeheizt.

Hamburg (dpa) - Die Amoktat von Hamburg hat die Debatte über
schärfere Waffengesetze wieder in den Fokus gerückt. Einen Tag nach
dem Verbrechen mit acht Toten und mehreren Verletzten in den Räumen
der Zeugen Jehovas kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
an, den Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes noch einmal prüfen zu
wollen. Man müsse nun überlegen, «wie wir mit dieser neuerlich
furchtbaren Amoktat in Hamburg nochmal an den Gesetzentwurf gehen, um
zu schauen: Gibt es noch Lücken, oder wo war er genau richtig?»,
sagte Faeser am Freitagabend den ARD-«Tagesthemen».

Auch wenn das Thema bislang nicht auf der Tagesordnung im
Innenausschuss des Bundestages steht, dürfte es weiter für
Diskussionen sorgen. Zuletzt hatte Faeser mit ihren Plänen für mehr
Kontrollen und Vorschriften die Verbände der Jäger und Schützen gegen

sich aufgebracht. Diese wiederum erhielten Unterstützung von der FDP.
Die sagt, die von Faeser geplanten Änderungen im Waffenrecht stünden
nicht im Koalitionsvertrag.

«Psychisch kranke Personen dürfen keine Schusswaffen besitzen. Es ist
gut und richtig, dass das Waffenrecht dies schon heute
unmissverständlich regelt», sagte der stellvertretende Vorsitzende
der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, am Samstag der
Deutschen Presse-Agentur. Im Nachgang zu der schrecklichen Tat in
Hamburg müsse nun aufgeklärt werden, warum die Waffenbehörde von
einer Entziehung der waffenrechtlichen Erlaubnis abgesehen hatte.

«Dabei muss auch über eine bessere Ausstattung der Waffenbehörden
gesprochen werden», sagte Kuhle. Ohne eine präzise Aufarbeitung der
Hintergründe seien «überhastete Forderungen nach gesetzgeberischen
Konsequenzen nicht angezeigt».

Der Innenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich,
sagte NDR Info, dass auch ein Verbot von halbautomatischen Pistolen
für Privatleute geprüft werden müsse. «Diese schreckliche Tat hat
gezeigt, dass legale Waffenbesitzer mit Waffengewalt Schlimmes
anrichten können in dieser Gesellschaft», sagte Emmerich und betonte:
«Weniger Waffen in privaten Händen sorgen für mehr öffentliche
Sicherheit.»

Bei der Tat am Donnerstag in Hamburg starben sieben Menschen und der
Täter selbst. Acht weitere Menschen wurden verletzt, vier von ihnen
lebensbedrohlich. Am Samstagmorgen gab es nach Angaben der Polizei
zunächst keine neuen Informationen zum Zustand der Verletzten oder
zur Tat.

Der 35 Jahre alte Philipp F. hatte mehr als 100 Mal mit einer
halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12. Dezember sei er im
legalen Besitz dieser Waffe gewesen, hatte Polizeipräsident Ralf
Martin Meyer bei einer Pressekonferenz gesagt. Als Extremist war der
Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt.

Nun stellen sich viele Fragen: Hätten Behörden (früher) reagieren
müssen? Ist der Täter zu einfach an seine Waffe gekommen oder wurden
anonyme Hinweise, der Mann sei psychisch auffällig, nicht ernst
genommen? Wäre er womöglich einem Psychiater oder Psychologen
aufgefallen?

Philipp F. war Sportschütze, hatte eine Waffenbesitzkarte und war
erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Die Behörde
hatte im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische
Erkrankung von Philipp F. erhalten. Dieser wurde Anfang Februar von
zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht.

Damals habe es keine relevanten Beanstandungen gegeben, die
rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen, sagte Meyer.
Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die
Beamten ergeben, «die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten
können».

Über das genaue Motiv von Philipp F. wird weiter gerätselt. Der
anonyme Hinweisgeber habe die Waffenbehörde auf dessen «besondere Wut
auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas»
aufmerksam gemacht, wie Meyer am Freitag mitteilte.

Im Internet gab Philipp F. einiges über sich und seine Gedankenwelt
preis. Die Webseite des Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit
Gott und Jesus Christus auseinandersetzte und krude Thesen
verbreitete.

Die furchtbare Tat in Hamburg zeige, wie notwendig Änderungen im
Waffengesetz seien, sagte Faeser in der ARD und forderte «vor allen
Dingen eine bessere Vernetzung zwischen den Behörden». Das sei zum
Beispiel bei einem Wohnortwechsel wichtig. Der Amoktäter stammt aus
Memmingen in Bayern. Seit 2015 war er in Hamburg gemeldet.