Platzmangel im Maßregelvollzug: 34 Straftäter entlassen

Die Maßregelvollzug-Kliniken im Südwesten sind überfüllt - so sehr,

dass verurteilte Straftäter freigelassen werden müssen. Doch es gibt
zwei Lösungsansätze für das Problem.

Stuttgart (dpa/lsw) - Wegen Platzmangels im Maßregelvollzug sind im
Südwesten im vergangenen Jahr mehrere Dutzend Straftäter aus der Haft
entlassen worden. 2022 seien 34 Menschen aus der sogenannten
Organisationshaft entlassen worden, teilte das Sozialministerium in
Stuttgart der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit.

Organisationshaft ist die vorübergehende Freiheitsentziehung für
einen Straftäter in einer Justizvollzugsanstalt, wenn gegen ihn neben
einer Freiheitsstrafe eine Maßregel der Besserung und Sicherung
angeordnet worden ist.

Werde ein Behandlungsplatz im Maßregelvollzug frei, würden die
Verurteilten zur Aufnahme einbestellt, so das Ministerium. Dies gelte
ausschließlich für solche Täter, die in eine Entziehungsanstalt
müssen - wenn also die Straftat im Zusammenhang mit einer Drogen-
oder Alkoholsucht begangen wurde.

Anders sei es bei Tätern, die beispielsweise wegen schwerer
Gewalttaten verurteilt wurden, hieß es vom Ministerium. Solche
Straftäter bekämen unter «Umgehung der Warteliste» kurzfristig eine
n
Platz im Maßregelvollzug zugewiesen. Dieser war in Baden-Württemberg,
wie auch in anderen Bundesländern, deutlich überbelegt: Zum Stichtag
31. Dezember 2022 waren insgesamt 1425 Menschen untergebracht.
Vorgesehen sind eigentlich nur 1320 Betten. Zu diesem Zeitpunkt waren
83 Menschen in Organisationshaft - warteten also auf einen Platz in
einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt.

In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht diese als
psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Bei längeren
Freiheitsstrafen kann die Haft dabei aufgeteilt werden: Zunächst wird
ein Teil im Gefängnis abgesessen, dann folgt die Maßregel. Danach
wird entschieden, ob der Verurteilte die Reststrafe weiter absitzen
muss oder vorzeitig auf Bewährung entlassen werden kann.

Nach Angaben des Ministeriums sind die Zahlen derer, die in den
Maßregelvollzug sollen, seit 2018 stark angestiegen - noch Ende 2017
waren nur 1049 Plätze belegt. Grund sei eine veränderte
Rechtsprechung, durch die auch Täter statt in ein «normales»
Gefängnis in den Maßregelvollzug kämen, die nicht zwingend
behandlungsbedürftig seien. Außerdem ist eine solche auch für die
Straftäter mit höheren Haftstrafen verlockend - eine Zuweisung in den
Maßregelvollzug birgt die Chance, schon nach der Halbzeit der
verbüßten Strafe auf freien Fuß zu kommen.

Weil immer mehr Menschen den Kliniken zugewiesen wurden statt zu
einer Haft verurteilt, gab es auch eine Debatte darüber, ob Richter
zu schnell für den Maßregelvollzug entscheiden. Justizministerin
Marion Gentges weist das zurück: «Die Gerichte sind an das Gesetz
gebunden. Die Anordnung der Unterbringung im Strafurteil erfolgt auf
Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen unter Berücksichtigung
gutachterlicher Stellungnahmen», sagte die CDU-Politikerin. Es gebe
«keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichte entgegen der
fachlichen Einschätzung der im Verfahren beteiligten Sachverständigen
nicht therapierbare Menschen in einer Entziehungsanstalt unterbringen
würden.»

Beide Ministerien sehen aber bei der Gesetzeslage Reformbedarf - und
tatsächlich gibt es inzwischen einen Entwurf des entsprechenden
Gesetzes. Dieser befinde sich aktuell in parlamentarischer Beratung,
hieß es.

Das Land will aber auch mit einer neuen Klinik in Schwäbisch Hall bis
Ende 2024 oder Anfang 2025 und mit einem Neubau in Winnenden das
Platzproblem lösen. «Die zusätzlichen rund 70 Plätze in Winnenden
sind sehr wichtig, um die angespannte Situation im Maßregelvollzug zu
entzerren», teilte das Sozialministerium Anfang März mit.