«Eine tödliche Krankheit» - 70 Jahre Anonyme Alkoholiker

Die Anonymen Alkoholiker gelten als die größte Selbsthilfegruppe der
Welt. In Deutschland gibt es sie seit 70 Jahren. Millionen Betroffene
haben bei den Anonymen Alkoholikern seither Hilfe gesucht.

München (dpa) - Wenn sich Menschen an die Anonymen Alkoholiker (AA)
wenden, ist ihr Leidensdruck meist schon sehr groß und ihr Leidensweg
lang. Die Interessengemeinschaft ist Anlaufstelle für Betroffene, die
mit dem Trinken aufhören wollen, und auch für deren Angehörige. In
Deutschland gibt es die Anonymen Alkoholiker seit 70 Jahren. Das
Jubiläum wollen sie Ende März in München begehen.

Bundesweit gibt es aktuell rund 2000 AA-Gruppen, die sich regelmäßig
treffen, sagte am Freitag Vorsitzender Jürgen Hoß, der selbst kein
Alkoholiker ist. Die AA seien ein Beweis dafür, zu welchen
Veränderungen Menschen in der Lage seien. Mehrere Betroffene
erzählten in München von ihren eigenen Erfahrungen. Gemeinsam ist
ihnen, dass sie irgendwann an einen Punkt gekommen waren, an dem sie
selber erkannten, dass sie nicht weitermachen können wie bisher.

«Party war mein Leben», sagte Christian. Über Jahrzehnte sei Alkohol

sein täglicher Begleiter gewesen - einfach, weil es gesellschaftlich
akzeptiert gewesen sei. Judith erzählte, wie sie mehr als 20 Jahre
lang die Alkoholsucht ihres Mannes toleriert und ausgehalten habe.
Nach Außen habe sie versucht, die Fassade aufrechtzuhalten, nach
Innen sei der Alltag die Hölle gewesen.

Dem Suchtmediziner Markus Backmund zufolge sterben in Deutschland
jährlich etwa 75 000 Menschen an den Folgen des Konsums von Alkohol,
die Hälfte davon bei Unfällen wie einem Sturz auf dem Heimweg.
Alkoholsucht sei eine tödliche Krankheit, stellte er klar. Anders
aber als etwa Krebskranke könnten sich Alkoholsüchtige selbst dafür
entscheiden, ohne die Krankheit zu leben.

Problematisch sei, dass das Trinken von Alkohol bagatellisiert werde.
Mit Blick auf das Oktoberfest sagte Backmund: «Wir organisieren die
größte Massenintoxikation der Welt jedes Jahr und nehmen
gesundheitliche Schäden und Todesfälle in Kauf.»

Um den Schritt aus der Sucht heraus zu schaffen, seien unter anderem
Freiwilligkeit wichtig und die Erkenntnis, dass man ein Problem hat.
Klar definieren lasse sich Alkoholsucht nicht. Aber wenn jemand
ständig ans Trinken denke, sich selbst frage, ob er zu viel trinke,
die Dosis steigere, ein Verlangen nach Alkohol empfinde und gar
Verpflichtungen vernachlässige, dann seien das Hinweise auf eine
Abhängigkeit.

Bundesweit bieten die Anonymen Alkoholiker regelmäßig Meetings an, in
Präsenz oder Online. Zudem gibt es telefonische Beratung.

Das erste Treffen war am 1. November 1953 in München, als
US-Soldaten, die den Anonymen Alkoholikern angehörten, in einem Hotel
zu einem deutschsprachigen AA-Meeting zusammenkamen. Der Sitz der
Anonymen Alkoholiker ist in Gottfrieding in Niederbayern.