Lauterbachs «Turbo»-Plan für digitale Patientenakten Von Sascha Meyer, dpa

Reisen buchen, Überweisungen, shoppen: Im Alltag läuft längst vieles

elektronisch. Doch Gesundheitsdaten in Praxen und Kliniken gibt es
oft immer noch nur offline auf Papier. Klappt nun eine Digitalwende?

Berlin (dpa) - Eine elektronische Akte für Befunde und Laborwerte,
Rezepte auf dem Handy statt auf Zetteln: Für Millionen Versicherte
sollen rund um die Gesundheit schneller neue digitale Möglichkeiten
kommen. Bundesminister Karl Lauterbach (SPD) stellte am Donnerstag
Pläne für einen «Neustart» vor, um nach langem Gezerre mehr Tempo z
u
erreichen. Als künftiges Herzstück sollen E-Akten bis Ende 2024 für
alle gesetzlich Versicherten zur Regel werden - es sei denn, man
lehnt das aktiv ab. Möglich werden sollen auch mehr Datenauswertungen
für die Forschung. Patientenvertreter und Gesundheitsbranche zeigten
sich offen für mehr Schwung, viele Fragen sind aber noch zu klären.

Lauterbach sagte in Berlin: «Deutschlands Gesundheitswesen hängt in
der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger

verantworten.» Es gelte, jetzt wirklich «mit einem Turbo-Schub den
Anschluss zu erreichen». Die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen,
mache Behandlungen besser. Geplant ist ein Gesetzespaket, das in den
nächsten Wochen vorgelegt werden soll - auch mit genaueren Regelungen
zur praktischen Umsetzung. Ein Überblick über die Kernpunkte:

E-Akte für alle

Für die 2021 als freiwilliges Angebot gestarteten elektronischen
Patientenakten (ePA) soll endlich ein Durchbruch her. Dabei geht es
um einen persönlichen Datenspeicher etwa für Befunde, Röntgenbilder
und Listen eingenommener Medikamente. Diese E-Akte soll Patienten im
Prinzip ein Leben lang und bei allen Ärztinnen und Ärzten begleiten.
Das soll die Versorgung verbessern. Denn oft würden Untersuchungen
unnötigerweise wiederholt, wenn zum Beispiel Kardiologen vorherige
Ergebnisse anderer Fachärzte nicht kennen, erläuterte Lauterbach.

Das Problem ist nur, dass bisher noch nicht einmal ein Prozent der
74 Millionen gesetzlich Versicherten eine ePA hat. Erklärtes Ziel ist
nun, bis 2025 auf 80 Prozent zu kommen. Dazu hatten SPD, Grüne und
FDP im Koalitionsvertrag vereinbart, auf das Prinzip «Opt-out» zu
schwenken. Konkret sollen bis Ende 2024 alle automatisch eine E-Akte
bekommen. Wer keine will, müsste dann widersprechen, statt wie bisher
aktiv eine zu beantragen. Abrufbar sein soll die Akte mit bestimmten
Identifikations-Regeln auch am Smartphone. Wie das Verfahren dann
ganz praktisch aussehen soll, soll aber noch geklärt werden.

Zwischen Skepsis in Praxen und Datenschutz

Lauterbach machte deutlich, dass auch ein gewisser «Defätismus» in
Sachen Digitalisierung unter den Ärzten überwunden werden soll. Bei
der Vernetzung der Praxen gibt es Verzögerungen, außerdem schwelt bei
mehreren Fragen Streit um den Datenschutz. Die Krankenkassen mahnten,
dass Ärzte tatsächlich Behandlungsdaten einstellen müssten. «Die Ak
te
kommt erst zum Fliegen, wenn sie fester Bestandteil jedes Arztbesuchs
ist», betonte der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas. Der
Grünen-Experte Janosch Dahmen sagte, die Patientenakte müsse «einfach

wie eine Suchmaschine zu bedienen sein». Die Kassenärztliche
Bundesvereinigung warnte vor zu viel Hast und «unreifen Konzepten».

Ein Reizthema ist der Datenschutz bei sensiblen persönlichen Angaben.
Lauterbachs Strategie zielt da auf mehr Spielräume ohne «klassische
Vetorechte». An Stelle des bisher herzustellenden «Einvernehmens» mit

Datenschutzbehörden soll ein Gremium beratend tätig werden, dem neben
Datenschützern auch Vertreter aus Medizin und Ethik angehören. Die
Verbraucherzentralen forderten, es müsse einfach festzulegen sein,
welcher Arzt auf welche Daten zugreifen dürfe. Ein «Alles oder
Nichts» sei der falsche Weg. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz
warnte, den Bürgern dürfe nicht die Kontrolle über ihre medizinischen

Daten entzogen werden. «Denn Schweigen bedeutet nicht Zustimmung».

E-Rezept und Forschungsdaten

Ein Durchbruch kommen sollen auch bei elektronischen Rezepten, bei
denen sich der Start mehrfach verzögerte. Zuletzt waren im Herbst in
der einzigen Pilotregion in Westfalen-Lippe weitere Schritte auf Eis
gelegt worden. Prinzipiell sollen Patienten statt des gewohnten rosa
Zettels einen Code aufs Handy bekommen, um Medikamente in Apotheken
abzuholen. Wer kein Smartphone hat oder nicht eine spezielle App,
bekommt den Code aber vorerst ausgedruckt auf Papier. Neue
Zielvorgabe ist jetzt, dass E-Rezepte einfacher nutzbar und Anfang
2024 zum verbindlichen Standard werden sollen.

Gesetzlich geregelt werden sollen auch mehr Datenauswertungen für die
Forschung. Dafür soll unter anderem eine zentrale Stelle eingerichtet
werden, die einen Zugang zu pseudonymisierten Daten aus verschiedenen
Quellen wie Registern und Krankenkassendaten ermöglichen soll. Das
soll Erkenntnisse entscheidend beschleunigen. Ein Vorbild dafür ist
Israel, das vor mehr als 25 Jahren mit der Digitalisierung begann.
Deutschland habe in der Corona-Krise auf solche Forschungsdaten aus
anderen Ländern schauen müssen, erläuterte der Vorsitzende des
Sachverständigenrats Gesundheit, Michael Hallek. Denn hierzulande
gebe es noch «null Daten» aus der eigenen Versorgung dafür.