Lauterbach legt Plan für Neustart bei E-Patientenakten vor

Reisen buchen, Geld überweisen, shoppen: Für Millionen Menschen läuft

im Alltag längst viel digital. Praxen und Kliniken hinken da ziemlich
hinterher. Findet die Politik dafür jetzt einen entscheidenden Turbo?

Berlin (dpa) - Nach jahrelangem Gezerre soll die Digitalisierung des
Gesundheitswesens in Deutschland mit breit angelegten Anwendungen für
alle mehr Fahrt aufnehmen. Bundesminister Karl Lauterbach stellt dazu
am Donnerstag (10.30 Uhr) Pläne für einen Neustart bei elektronischen
Patientenakten vor, die als freiwilliges Angebot kaum genutzt werden.
Wie der SPD-Politiker angekündigt hat, sollen sie Ende 2024 für alle
verbindlich werden - es sei denn, man lehnt es ausdrücklich ab. Die
von der Ampel-Koalition vorgesehene Umstellung soll einen Durchbruch
für digitale Anwendungen bringen. Auch E-Rezepte sollen vorankommen.
Zudem sollen mehr Datenauswertungen für die Forschung möglich werden.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte der Deutschen
Presse-Agentur: «Wie in so vielen Bereichen hat Deutschland im
Gesundheitssystem die Digitalisierung jahrelang verpennt.» Dabei
trage sie zu einer schnelleren, effizienteren und besseren Versorgung
bei. «Die digitale Patientenakte kann Leben retten, weil sie Ärzten
sofort alle wichtigen Informationen über einen Patienten zur
Verfügung stellt.» Sie müsse daher zum Standard werden. Dass bisher
weniger als ein Prozent der Bevölkerung eine E-Patientenakte habe,
sei völlig unzureichend. «Andere Länder sind uns meilenweit voraus.
»

Die 2021 als freiwilliges Angebot eingeführten E-Akten sollen etwa
Befunde, Röntgenbilder und Medikamentenlisten speichern und so auch
unnötige Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Bisher nutzt aber nur ein
Bruchteil der 74 Millionen gesetzlich Versicherten das Angebot. Bei
der Vernetzung der Praxen gibt es Verzögerungen, bei mehreren Fragen
schwelt Streit über den Datenschutz. Im Koalitionsvertrag haben SPD,
Grüne und FDP daher vereinbart, das Prinzip «Opt-out» anzuwenden -
also, dass alle automatisch eine E-Akte bekommen und man aktiv
widersprechen muss, statt wie bisher aktiv eine E-Akte zu beantragen.

Grünen-Experte Dahmen sagte, es sei gut, dass der Minister jetzt
Tempo mache. Die Widerspruchslösung sei angesichts des hohen Nutzens
für die Versorgung «ein verhältnismäßiger Weg». Dabei solle man

Datenschutz und Gesundheitsschutz nicht gegeneinander ausspielen.
«Patienten sollten flexibel über die Nutzung der Akte entscheiden
können.» So könnten sie beispielsweise nur einzelne Befunde für
bestimmte Ärzte sichtbar machen. Zudem sollte die Digitalakte von
vornherein so effizient und benutzerfreundlich wie möglich sein.
«Dafür gibt es noch Luft nach oben», erläuterte Dahmen.

«Für den Patienten oder Arzt muss die Patientenakte so einfach wie
eine Suchmaschine zu bedienen sein», sagte der Grünen-Politiker. Für

den Praxisalltag wäre es sehr umständlich, wenn zunächst nur lange
Dokumente hochgeladen werden könnten. Es brauche einen schnellen
Überblick über die Patienteninformationen und ein einheitliches und
strukturiertes Datenformat. Die FDP-Fachpolitikerin Christine
Aschenberg-Dugnus sagte, der Vorteil der E-Akte sei nicht nur, dass
Patienten Einblick in sämtliche Befunde erhielten. Auch andere
Akteure des Gesundheitswesens könnten sich mit wenigen Klicks ein
Bild vom Gesundheitszustand eines Patienten verschaffen.

Eine Zielmarke für die Pläne hat die Bundesregierung schon in ihrer
umfassenderen Digitalstrategie ausgegeben: Sie will sich 2025 daran
messen lassen, ob mindestens 80 Prozent der gesetzlich Versicherten
eine E-Patientenakte haben. Endlich Schwung kommen sollen auch bei
elektronischen Rezepten, deren Einführung in größerem Stil weiterhin

stockt - in der bundesweit einzigen Pilotregion in Westfalen-Lippe
wurden weitere Schritte im vergangenen Herbst vorerst auf Eis gelegt.

Grünen-Experte Dahmen betonte: «Wir brauchen einen nationalen
Gesundheitsdatenraum, in dem die Daten einheitlich aus dezentralen
Quellen in Echtzeit systematisch zusammenlaufen.» Es müsse in eine
digitale Infrastruktur in öffentlicher Hand investiert werden, die
Datenschutz, IT-Sicherheit und Praktikabilität vereine. Auch hierbei
brauche es einen großen Wurf. Halbgare Lösungen könnten Akzeptanz bei

Patienten und Ärzten kosten - und letztendlich deshalb auch Leben.

Nach einem Bericht des Nachrichtenportals «The Pioneer» (Donnerstag)
soll die mehrheitlich bundeseigene Gesellschaft Gematik vollständig
verstaatlicht werden, die sich um die Digitalisierung kümmert. Bisher
sind auch Organisationen von Ärzten, Kassen und Kliniken beteiligt.

Lauterbach geht es auch darum, mehr Möglichkeiten für die Forschung
zu eröffnen. Die systematische Auswertung vieler digitaler Daten kann
Erkenntnisse entscheidend beschleunigen. Ein Vorbild dafür ist
Israel, das vor mehr als 25 Jahren mit der Digitalisierung begann.