Keine Angst vor großen Tieren Von Jeanette Bederke, dpa

Eine junge Veterinärmedizinerin aus Bernau behandelt nicht nur Hunde
und Katzen. Ihre Leidenschaft gilt vielmehr Rindern, Schafen und
Ziegen. Sie hat sich bewusst für eine Tätigkeit als klassische
Landtierärztin entschieden und ist damit wohl eher die Ausnahme.

Bernau (dpa/bb) - Die gut acht Wochen alten Kälbchen springen in
ihrem Gatter auf dem Gelände der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal in
Bernau aufgeregt herum - möglichst weit weg von der jungen Frau in
langer Schürze und Gummistiefeln, die gerade zu ihnen gekommen ist.
«Die wissen, wenn ich da bin, passiert nichts Gutes», lacht Lisanne
Tesch, die ihr langes Haar zum Pferdeschwanz gebunden hat und das
Stethoskop griffbereit um den Hals trägt. Impfungen gegen Grippe und
Flechte hat die Nachwuchs-Tierärztin den Jungrindern bereits
verabreicht, den Nabel auf Entzündungen kontrolliert und ihnen auch
schon mal ins Maul geschaut.

Spannender als die Kälbchenkontrolle sind für die 27-Jährige aus
Bernau im Kuhstall akute Notfälle wie schwere Geburten oder eine
gefährliche Labmagenverlagerung. «Ich muss den Labmagen zurück an
seinen Platz drehen. Operationen unter Stallbedingungen sind schon
eine Herausforderung, auch körperlich», erzählt Tesch, die sich nach

dem Veterinärmedizinstudium an der Freien Universität Berlin bewusst
für die Behandlung von Nutztieren entschieden hat - auch wenn das
bedeutet, gerade in Notfällen bei Wind und Wetter sowie zu jeder
Tages- und Nachtzeit zu ihren Patienten zu eilen.

Tesch ist in Kreisen des Veterinärmediziner-Nachwuchses wohl eine
große Ausnahme. «Klassische Landtierärzte, die Nutztiere behandeln,
werden immer weniger, da die alten in Rente gehen, und junge kaum
nachkommen», bestätigt Andrea Schulze, Geschäftsführerin des
Brandenburger Landestierärzteverbandes. Von den 533 Praxen im Land
werden in insgesamt 258 ausschließlich Kleintiere wie Hund, Katze,
Meerschwein oder Wellensittich behandelt. Es gibt nur 39 explizite
Großtierpraxen, dazu 37 auf Pferde spezialisierte Tierärzte und 177
sogenannte Gemischtpraxen. Das Problem dabei: 90 Prozent der
Veterinärmedizin-Absolventen in Deutschland sind nach Angaben von
Schulze weiblich. «Und gerade Frauen scheuen sich vor der Behandlung
von großen Tieren», stellt sie dar. Viele von ihnen gingen gar nicht
erst in die Praxis, sondern in Forschung und Wissenschaft.

«Die Behandlung von Kuh oder Pferd ist in der Tat ein Knochenjob,
körperlich schwer, rund um die Uhr, der Verdienst weitaus geringer
als bei der Behandlung von Kleintieren», fasst der Brandenburger
Landestierarzt Stephan Nickisch zusammen. «Das hält kaum einer lange
durch, schon gar keine Frau.» Tesch sieht das allerdings etwas
anders. «Wenn die Kraft fehlt, gibt es Hilfsmittel, spezielle
Gerätschaften. Und ich spanne den Tierbesitzer mit ein», sagt die
Nachwuchs-Veterinärmedizinerin, die bei der komplizierten Geburt
eines Kalbes schon mal einen Mini-Gabelstapler zweckentfremdet. Dem
Klischee, Frauen könnten keine großen Tiere behandeln, will die
27-Jährige bewusst entgegentreten.

Viele Veterinärmedizin-Studentinnen hätten eine idealisierte
Vorstellung von dem Beruf - das führe in der Praxis zu
Enttäuschungen, sagt Landestierarzt Nickisch. Das kann auch Tesch
bestätigen. Ihrer Ansicht nach gehört das Studium überarbeitet, schon

was die Zulassungsbeschränkung auf den Numerus Clausus betrifft. «Ein
Durchschnitt von 1,0 im Abitur macht Dich nicht zu einem guten
Studenten. Zu dem Beruf gehört auch viel Handwerk. Die praktischen
Elemente der Arbeit am Tier kommen im Studium aber viel zu kurz»,
kritisiert die Bernauerin, die nach ihrem Abschluss Erfahrungen in
Afrika, der Mongolei und der Schweiz sammelte.

Beide Eltern waren Tierärzte, Tochter Lisanne wuchs damit auf, wollte
unbedingt Veterinärmedizinerin werden. Die 27-Jährige hat gemeinsam
mit einer Kollegin Anfang 2023 die Kleintierpraxis ihrer Mutter in
Bernau übernommen. Nutztiere behandelt sie allerdings bereits seit
Herbst 2021. «Ich bin gern draußen, mag körperlich schwere Arbeit»,

begründet sie diese Entscheidung. Zudem seien Tierbesitzer in der
Landwirtschaft bodenständig und weniger anstrengend als Hunde- oder
Katzenhalter, die ihre Vierbeiner häufig als wichtige
Familienmitglieder oder auch Partnerersatz ansehen würden. Selbst
wenn medizinische Grenzen erreicht seien, würden manche alles dafür
tun, das Leben ihrer geliebten Tiere zu verlängern, merkt Tesch
kritisch an. Sie selbst hat Hund, Katze, Pferd und Kuh - alles
gesundheitlich beeinträchtige Problemfälle, die andere nicht mehr
haben wollten.

«Für den Bauern sind seine Tiere in erster Linie Kapital, bei dem die
Kosten- und Nutzen-Relation stimmen muss. Wenn eine Behandlung nicht
mehr sinnvoll ist, entscheidet er sich dagegen», macht die 27-Jährige
deutlich, die auch aktive Jägerin ist. Die Behandlung von Pferden
überlässt sie Spezialpraxen. Schafe, Kühe, Ziegen und ab März diese
s
Jahres auch Schweine betreut sie in einem Umkreis von 35 Kilometern.
«Landwirte merken schnell, ob man Erfahrungen hat. Das beginnt schon
damit, wie der Tierarzt an den jeweiligen Patienten herantritt», so
ihre Erfahrungen.

Tobias Böttcher, Leiter Landwirtschaft bei der Hoffnungstaler
Stiftung Lobetal, ist froh, Tesch gefunden zu haben, nachdem der alte
Tierarzt in den Ruhestand ging. «Sie hat keine Scheu, behandelt
unsere Kühe gewissenhaft und professionell», lobt der Barnimer, der
für 150 Jungrinder und 70 Milchkühe verantwortlich ist. Die junge
Tierärztin bringe frischen Wind in den Stall, auch mit neuen
Behandlungsmethoden, statt «Schema F». «Und der Erfolg gibt ihr
Recht.»