Vergiftungswelle im Iran löst neue Proteste aus

Eine Welle von Vergiftungsfällen an Mädchenschulen wühlt seit Wochen

den Iran auf. Nun wurden erstmals Festnahmen gemeldet. Sorgen und Wut
treiben Lehrkräfte und Angehörige auf die Straßen.

Teheran (dpa) - Im Iran sind Lehrerinnen und Lehrer in mehreren
Städten angesichts der jüngsten Vergiftungswelle auf die Straßen
gegangen. Videos in den sozialen Medien zeigten Proteste in mehreren
iranischen Provinzen. Auf den Versammlungen warfen auch Angehörige
den Behörden vor, nicht ausreichend gegen die Vergiftungen an den
Mädchenschulen vorzugehen. Bilder und Videos zeigten Proteste unter
anderem in den Millionenstädten Tabris und Maschhad, in Isfahan,
Schiras, am Kaspischen Meer sowie in den Kurdenregionen.

Augenzeugen berichteten in der Kurdenprovinz von Protesten in Mariwan
und Sanandasch. Eltern forderten friedlich mehr Sicherheit für die
Schulkinder und warfen den Behörden Ignoranz vor. Berichten zufolge
riefen Demonstranten lautstark «Kindermörder». Die Polizei soll
daraufhin mehrere Menschen festgenommen und mit Gewalt gedroht haben.

Die ersten Fälle der mysteriösen Vergiftungen wurden bereits im
November gemeldet. Irans Regierung geht von gezielten Angriffen aus.
Betroffen sind fast ausschließlich Mädchenschulen. Landesweit wurden
Schülerinnen in Krankenhäusern behandelt. Eltern und Angehörige sind

empört und wütend. Sie werfen den Behörden Versagen vor und geben
ihnen eine Mitschuld. Ärzte sprechen von Gasvergiftungen.

Unterdessen meldeten die Behörden erstmals Festnahmen. Verdächtige in
fünf Provinzen seien festgenommen worden, berichtete die
Nachrichtenagentur Fars am Dienstag unter Berufung auf den für die
Sicherheitskräfte zuständigen Vize-Innenminister, Madschid Mirahmadi.
Genauere Angaben zur Zahl der Festnahmen und zu Hintergründen der
Verdächtigen gab es zunächst nicht.

Am Montag hatte Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei harte
Strafen für die Verantwortlichen der Vergiftungswelle gefordert.
Chamenei, der im Iran in allen strategischen Belangen das letzte Wort
hat, äußerte sich erstmals zu der landesweiten Vergiftungswelle. Er
bezeichnete sie als «unverzeihliches Verbrechen».

Iranische Medien haben inzwischen über mehr als 3100 Vergiftungsfälle
an Schulen berichtet. Dies ergab eine Auswertung von Berichten, die
von November bis Anfang März in iranischen Medien erschienen.
Offizielle Behördenzahlen zum Gesamtausmaß der Vergiftungswelle gibt
es derzeit nicht. Laut der Zeitung «Etemad» gab es Fälle an mehr als

100 Schulen. Beobachter gehen zudem von einer Dunkelziffer aus.

Irans politische und geistliche Führung steht seit Ausbruch der
Proteste im Herbst gegen die repressive Regierung und das islamische
Herrschaftssystem massiv unter Druck. Ausgelöst vom Tod der
iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam stürzte
Teheran in die schwerste politische Krise seit Jahrzehnten. Die
22-Jährige war vor fast einem halben Jahr wegen Verstoßes gegen die
islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden.