Video-Call statt Dienstreise? Wie Corona das Arbeiten verändert hat Von Fabian Nitschmann, dpa

Mehr Digitalisierung, weniger Reisen - so lassen sich die
Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Corona-Pandemie kurz
beschreiben. Doch welche Veränderungen bleiben langfristig? Eine
Übersicht drei Jahre nach dem ersten Lockdown.

Berlin (dpa) - Die Corona-Pandemie hat das Leben schlagartig
verändert, als Mitte März 2020 plötzlich Kontaktbeschränkungen
eingeführt und Büros geschlossen wurden. Homeoffice war bis dahin für

viele Arbeitnehmer undenkbar, selbst wenn es ihr Beruf theoretisch
möglich machte. Videokonferenzen waren vielerorts eine Seltenheit,
schon bei der Telefonkonferenz streikte gerne die Technik. Doch
Covid-19 ließ in vielen Fällen keine andere Möglichkeit als Arbeite
n
am Küchentisch inklusive Kindergeschrei im Video-Meeting und
zahlreiche abgesagte Dienstreisen.

Plötzliche Veränderungen sind oft auch plötzlich wieder Geschichte.
Das Coronavirus aber blieb - und mit der Pandemie auch einige
Veränderungen für die Arbeitswelt.

Homeoffice

«Die Arbeitnehmer wollen tendenziell mehr im Homeoffice arbeiten als
vor der Pandemie, aber nicht so viel wie während der Pandemie», sagt
Ulf Rinne, Arbeitsmarktexperte vom Institut zur Zukunft der Arbeit
(IZA). Drei Jahre nach Beginn des ersten Lockdowns in Deutschland
gebe es durchaus eine Erwartungshaltung an die Arbeitgeber,
Homeoffice zu ermöglichen. «Homeoffice wird jetzt mitverhandelt
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern», sagt Rinne.

Nach Zahlen des Ifo-Instituts arbeiteten zuletzt rund 25 Prozent der
Beschäftigten «zumindest teilweise» im Homeoffice, im
Dienstleistungssektor ist die Quote mit fast 36 Prozent deutlich
höher. Seit Aufhebung der Homeoffice-Pflicht Ende März 2022 habe es
kaum eine Veränderung gegeben.

Besonders beliebt ist Homeoffice dem Ifo-Institut zufolge bei
IT-Dienstleistern (73,4 Prozent), Unternehmensberatern (71,7 Prozent)
und bei Angestellten in der Werbung und Marktforschung (55,2
Prozent). Im Hotel- und Gastgewerbe spielt Homeoffice dagegen - wenig
überraschend - keine Rolle.

Jeder Betrieb müsse für sich eine Lösung finden, wie nun langfristig

mit dem mobilen Arbeiten umgegangen wird, meint Experte Rinne. «Aus
meiner Sicht werden das meist hybride Modelle sein zum Beispiel mit
Präsenztagen, an denen alle an den Arbeitsort kommen.»

Workation

Homeoffice ist das eine - aber was, wenn die Arbeit per Laptop auch
in einer Strandbar erledigt werden kann? Workation, also die
Kombination aus Arbeit (work) und Urlaub (vacation), hat mit
dem Homeoffice seit Beginn der Corona-Pandemie ebenfalls
einen Aufschwung erlebt - zumindest bei denen, die es sich leisten
können und auf den passenden Stellen sitzen.

«Workation ist derzeit noch ein Nischenthema», sagt
Arbeitsmarktforscher Rinne. «Gerade mit Blick auf die jüngere
Generation ist es für Unternehmen aber durchaus eine Möglichkeit, im
Wettbewerb um knappe Personalressourcen solche Angebote mitzudenken.»
Rechtlich seien mit Workation noch viele offene Fragen verbunden,
insbesondere bei Aufenthalten außerhalb der EU.

Videokonferenzen

Auch in Sachen Digitalisierung hat die Corona-Pandemie der
Arbeitswelt einen Schub versetzt. In vielen Büros wurde die digitale
Ausstattung deutlich verbessert, Kommunikationsanwendungen wie
Microsoft Teams oder Zoom erlebten ein Hoch. In 72 Prozent der
Unternehmen wurden Online-Meetings und Videokonferenzen Anfang 2022
«sehr häufig» oder «häufig» genutzt, wie aus dem Digital Of
fice Index
des Digitalverbands Bitkom hervorgeht. Im Mai 2020 lag der Anteil
noch bei 61 Prozent, im März 2018 bei 48 Prozent. Hinzu kommt:
Innerhalb der Unternehmen dürfte sich der Personenkreis der
Videokonferenz-Teilnehmer deutlich vergrößert haben.

«Schon lange vor der Pandemie waren Videokonferenzen in Unternehmen
für wenige ausgewählte Personen und Bereiche möglich», sagt dazu
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. «Durch die ausgepräg
te
Nutzung des Homeoffice sowie den Wegfall von Dienstreisen,
Konferenzen und Veranstaltungen seit Corona sind Videokonferenzen in
den Büros von heute ein Standard, auf den die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter nicht mehr verzichten wollen.»

Für Unternehmen wie Zoom wurde die Corona-Zeit daher zu einer
Erfolgsperiode - wie auch andere Tech-Unternehmen steckt der
Videokonferenzdienst aber inzwischen in Schwierigkeiten: Im Februar
kündigte das Unternehmen angesichts der ungewissen Wirtschaftslage
einen großen Stellenabbau an. Zoom hatte während der Pandemie eine
Einstellungsoffensive gestartet, die sich als überdimensioniert
herausstellte.

Dienstreisen

Während Homeoffice und Videokonferenzen boomten, drohte der
Dienstreise in der Corona-Pandemie das Aus. Aber weit gefehlt: In den
vergangenen Monaten ist ihr Comeback zu erkennen - auch, weil
Arbeitnehmer in verschiedenen Umfrage immer wieder angeben, dass sie
Geschäftsreisen mit Vor-Ort-Treffen sehr schätzen.

Die Vor-Corona-Verhältnisse sind aber noch weit entfernt, vor allem
mit Blick auf inländische Flugreisen. Nach Angaben des Deutschen
Zentrums für Luft- und Raumfahrt flogen 2019 rund 15 Millionen
Passagiere auf Verbindungen mit Start und Ziel in Deutschland - im
Vergleich zu 2 Millionen 2021 und 4 Millionen 2022. Rechnet man auch
Inlandsflüge hinzu, die zum Umstieg unternommen werden, geht die
Branche für Sommer 2023 von 57 Prozent der Passagierzahlen von 2019
aus. Diese Zahlen beinhalten nicht nur Geschäftsreisende, gerade im
innerdeutschen Verkehr dürfte ihr Anteil an allen Passagieren aber
recht hoch sein.

Der internationale Flugverkehr hat sich etwas besser holt. Insgesamt
lag die Zahl der Passagiere an deutschen Flughäfen im vergangenen
Jahr bei 66 Prozent des Vor-Corona-Jahres 2019.

«Die deutschen Unternehmen stellen mehr und mehr ihre
Reiserichtlinien um», meint Stefanie Berk, Marketingvorständin für
den Fernverkehr der Deutschen Bahn. Bei Geschäftsreisen werde
inzwischen öfter auf die Schiene gesetzt. Nach DB-Angaben haben sich
in den vergangenen zwölf Monaten die Verkaufszahlen der BahnCard an
Business-Kunden verdoppelt. Mit der BahnCard erhalten Reisende 25
oder 50 Prozent Rabatt auf den Fahrpreis, mit der BahnCard 100 kann
jeder Zug ohne weitere Kosten genutzt werden.

Also alles neu auf der Arbeit?

Bei allen Entwicklungen in den Bereichen Homeoffice, Dienstreisen und
Videokonferenzen: Für viele Menschen hat sich in der Pandemie und
auch jetzt, in der Zeit ohne Corona-Beschränkungen, überhaupt nichts
am Arbeitsalltag grundlegend verändert - Masketragen und auf das
Virus testen mal ausgenommen. Kassiererinnen, Kellner, Altenpfleger
und Bauarbeiterinnen können trotz aller Digitalisierung nicht von zu
Hause arbeiten, um sich den Weg zur Arbeitsstätte zu sparen.

Das Homeoffice-Potenzial liegt in Deutschland Arbeitsmarktexperten
zufolge bei rund 50 Prozent der Beschäftigten - und ist stark
abhängig vom Einkommen. Bei einem Bruttomonatseinkommen von 4000 Euro
liegt das Homeoffice-Potenzial dem Ifo-Institut (2020) zufolge bei
rund 80 Prozent, bei einem Bruttoeinkommen von 2500 Euro pro Monat
dagegen nur bei 25 Prozent.