Von Geld bis Karriere - Pandemie hat für viele Frauen Langzeit-Folgen Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Krisen können auch Chancen sein. Die Corona-Pandemie hätte
Gelegenheit geboten, Nachteile für Frauen von Anfang an in den Blick
zu nehmen. Für manche Forscherinnen passiert aber auch am Ende immer
noch zu wenig.

Berlin (dpa) - Karriereknick, Gehaltseinbußen und zu wenig Beachtung
in der medizinischen Forschung? Die Corona-Pandemie könnte vielen
Frauen in Deutschland auch langfristig Nachteile bringen. Aus
Soziologie und Medizin kommen zum Internationalen Frauentag am 8.
März kritische Stimmen. Die Krisenzeit erscheint Forscherinnen im
Rückblick als Beispiel für verpasste Chancen - und als Weckruf, es in
Zukunft besser zu machen.

Die Berliner Soziologin Jutta Allmendinger empfahl schon vor der
Pandemie eine Vier-Tage-Woche für Männer und Frauen und plädierte
nach skandinavischem Vorbild für mehr Väterzeit. Sie machte auf die
Auszeit- und Teilzeit-Fallen für Frauen aufmerksam, empfahl geteilte
Verantwortung in Chefetagen. Zu Beginn der Pandemie warnte sie vor
Rückschritten in der Gleichberechtigung. Was sagt sie heute?

«In der Pandemie sind in vielen Lebensverläufen Weichen gestellt
worden, die sich nicht einfach zurückdrehen lassen», fasst es
Allmendinger zusammen. «Für Frauen werden Lücken in ihrer
Karriereentwicklung bleiben, die sich bei ihren Lebenseinkommen und
Altersrenten zeigen werden.» Die Forscherin zählt auf: Sie
reduzierten Arbeitszeit, wechselten Jobs, gingen eher ins Homeoffice.
Sie nahmen länger als geplant Elternzeit. Sie hat es an ihrem
Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung selbst erlebt. «Ich
habe glänzende Wissenschaftlerinnen verloren, die in den
administrativen Bereich gewechselt sind. Der Weg zur Professur ist
damit verbaut.»

Auch Frauen, die in großen, global ausgerichteten Unternehmen auf der
Überholspur waren, seien in Teilzeit gegangen oder pausierten. «Die
Verliererinnen sind vor allem Frauen mit kleinen Kindern und Frauen
mit Pflegeverantwortung für die Elterngeneration», ergänzt sie. Die
Soziologin spürt noch etwas, jenseits von Geld und Karriere. Es gehe
um Einstellungen, Normen und Gesellschaftskultur. «Negative
Einstellungen gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern - also die
unsägliche Vorstellung einer «Rabenmutter» - haben in der Pandemie
größeren Zuspruch erfahren als davor», sagt sie.

Szenenwechsel, Schnitt in Richtung Medizin und Forschung. Die
Corona-Pandemie hat auch hier ein Schlaglicht darauf geworfen, welche
Nachteile Frauen haben können, weil sie Frauen sind. Selbst nach der
heißen Anfangsphase samt Impfstoffsuche, die manches verzeihen lasse,
seien sie nicht ausreichend gesehen worden, resümiert Ute Seeland,
Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für geschlechtsspezifische
Medizin und Internistin an der Berliner Charité.

«Männer und Frauen haben ein unterschiedliches Immunsystem», erklär
t
die Ärztin. «Sie können deshalb auch unterschiedlich auf eine Impfung

reagieren - wie eben auf jeden anderen Wirkstoff auch.» Besonders
jüngere Frauen mit hohem Östrogenspiegel spürten zum Beispiel laut
Studien bei gleicher Dosierung der Corona-Impfstoffe zum Teil mehr
Nebenwirkungen als Männer. Hätten Frauen in diesem Lebensabschnitt
vielleicht niedrigere Dosierungen gebraucht? «Diese Frage ist nicht
konsequent verfolgt worden», kritisiert die Ärztin. Solche
Erkenntnisse seien bei Herstellern wenig beachtet geblieben und
stünden auch in Studien eher versteckt im Anhang.

Denn Frauen mit ihrem unterschiedlichen Hormonstatus - mit Zyklus,
während einer Schwangerschaft und nach der Menopause - machen
Forschung generell komplizierter und damit auch teurer. «Und dann
heißt es schnell, der Nutzen für die Gesellschaft ist größer, wenn

wir es jetzt nicht so kompliziert machen», sagt Seeland. «Das ist die
Krux. Frauen müssen nicht allein in Studien eingeschlossen werden.
Man muss aus den Ergebnissen dann auch Konsequenzen ziehen.»

Zurück zur Gesellschaft. Nach dem jüngsten Bericht an die G7, einen
Zusammenschluss westlicher Industrienationen, leisten Frauen in
Deutschland im Schnitt vier Stunden und zwei Minuten unbezahlte
Familienarbeit am Tag. Bei Männern sind es zwei Stunden und 30
Minuten. International gesehen ist das kein Ruhmesblatt.
Familienarbeit dreht sich auch nicht allein um Kinder. In Deutschland
geht es dabei zunehmend um alternde Eltern. Die Mehrheit von ihnen
wird zu Hause gepflegt. Mit der wachsenden Lebenserwartung rolle auf
die jüngere Generation mehr Pflegeverantwortung zu, prognostiziert
Allmendinger. So können neue Teilzeit-Fallen entstehen. Doch die
Politik verdränge das vor lauter Digitalisierung, Klimadebatte und
Krieg in der Ukraine. «Wir bauen nicht die Strukturen auf, die wir
brauchen.»

Bereits jetzt, so hat die Bertelsmann-Stiftung 2020 errechnet, geht
es im Erwerbseinkommen von Männern und Frauen über ihr ganzes Leben
gesehen in Deutschland um Unterschiede von bis zu einer Million Euro.
Allmendinger schätzt, dass in Deutschland allein durch das
Ehegatten-Splitting 22 Milliarden Euro Steuern pro Jahr verloren
gehen: Denn zumindest steuerlich lohnt es sich für Partner mit
geringerem Einkommen nicht, arbeiten zu gehen. «Das ist Geld, das wir
für Kitas und Ganztagsschulen so richtig gut einsetzen könnten.»

Gibt es gar nichts Positives, das bleibt als Lehre aus der Pandemie?
«Das zarte Pflänzchen Homeoffice ist während Corona kräftig
gewachsen», sagt Allmendinger. «Homeoffice durchbricht die
Anwesenheitskultur. Vielleicht stellt sich heraus, dass damit auch
ein Einstieg in eine Vier-Tage-Woche gemacht ist.» Auch dabei geht es
ihr um mehr als Geld. «Eine Gesellschaft ohne Zeit füreinander fliegt
leicht auseinander, der soziale Kitt fehlt.»