Umwelthilfe: Grundsatzurteil zu Abgas-Thermofenstern bald realistisch

Das Auffliegen der Dieselaffäre ist nun schon einige Jahre her, die
Autoindustrie investiert stärker in sauberere Antriebe. Dennoch
lassen Umweltschützer nicht locker - und fordern ein endgültiges Aus
sogenannter Thermofenster. Wann gibt es Klarheit auch für die Kunden?

Berlin (dpa) - Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht nach dem Urteil
des Verwaltungsgerichts Schleswig zu einem VW-Dieselmodell von einer
baldigen Grundsatzentscheidung über die heftig umstrittenen
Thermo-Abschalteinrichtungen aus. «Wenn sich das Kraftfahrt-Bundesamt
(KBA) das ansieht, sollte es eigentlich eine schnelle Entscheidung
wollen - diese sollte dann innerhalb eines Jahres vorliegen», sagte
der DUH-Anwalt und Verwaltungsrechtler Remo Klinger am Donnerstag in
Berlin. Für die Gegenseite wäre eine direkte Revision beim
Bundesverwaltungsgericht möglich. Man glaube, dass die Einschätzungen
der Richter in Schleswig-Holstein jedoch selbst im Fall eines
normalen Instanzengangs über das dortige Oberverwaltungsgericht auch
auf andere Autohersteller neben Volkswagen übertragbar sein müssten.

Ob der Rechtsstreit Folgen für Dieselbesitzer haben könnte, wird sich
zeigen. Mit ihrer Klage gegen das KBA hatte die Umweltorganisation am
Montag im Kern einen Erfolg erzielt. Das Schleswiger Urteil ist aber
noch nicht rechtskräftig. Das KBA teilte zunächst nichts weiter mit.

Es geht um den Vorwurf, die Flensburger Behörde habe unzulässige
Funktionen in Dieselwagen erlaubt, mit welchen die tatsächliche
Abgasreinigung erheblich verringert oder gar ausgesetzt wurde - wie
die DUH annimmt, in betrügerischer Absicht der Autobauer, so dass die
Programme hätten entfernt werden müssen. Sogenannte Thermofenster
waren auch nach dem Bekanntwerden des VW-Dieselskandals 2015 ein
zentraler Streitpunkt zwischen der Autolobby und Umweltverbänden.

Im konkreten Fall hatte der Richter das Thermofenster im genehmigten
Umfang als nicht zulässig bewertet. Solche Steuerungen sind bisher
nur in engen Grenzen legal, es liegen inzwischen auch Aussagen des
Europäischen Gerichtshofes vor. Die Software soll etwa bei niedrigen
Temperaturen die Reinigung der Abgase herabregeln, um Motorbauteile
zu schonen. Viele Umweltschützer sehen das als vorgeschobenen Grund,
Ausnahmen von Emissionsgrenzwerten zu rechtfertigen. Lediglich im
festgelegten «Fenster» werden giftige Stickoxide dann ganz gefiltert.

Volkswagen war im Prozess beigeladen. Ein Verzicht auf Thermofenster
hätte Sicherheitsrisiken gebracht, so das Argument der Wolfsburger,
deren Juristen das Urteil erst genau prüfen wollen: «Diese Bewertung
hat auch das KBA als Marktüberwachungs- und Genehmigungsbehörde stets
geteilt und bestätigt.» Für die Kunden betonte die VW AG einstweilen,

bis zur abschließenden Klärung des Themas drohten «weder behördlich
e
Stilllegungen von Fahrzeugen noch Hardware-Nachrüstungen». Näheres zu

den Darstellungen der DUH sagte das Unternehmen in der Sache nicht:
«Unsere Stellungnahme vom Montag hat unverändert Bestand.»

Besteht das Urteil auch vor höheren Gerichten, was die DUH hofft,
dürften andere Konzerne mit ähnlichen Entscheidungen rechnen müssen.

«Ich denke ja, und sogar erst recht», meinte Klinger dazu. Denn die
im besagten «Musterfahrzeug» - einem VW Golf - monierte Software sei
schon relativ alt, und etliche der weiteren Klagen bezögen sich auf
modernere Dieselautos. Er gehe «schwer davon aus, dass ein KBA die
Grundsätze auf alle anderen überträgt». So seien neben zusätzlich
en
Verfahren mit insgesamt gut 70 VW-Modellen, die im Laufe des Sommers
wohl entschieden werden könnten, noch solche mit knapp 50 anderen
Fahrzeugen geplant - zum Beispiel von Mercedes, BMW, Peugeot, Volvo
oder Fiat. Einzelne Fälle würden dabei womöglich zusammengelegt.

DUH-Bundeschef Jürgen Resch sagte, er habe kürzlich Kontakt zu
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) aufgenommen, um Einzelgespräche
über das kritische Thema zu führen. Bisher gebe es keine Antwort.

«Für die betrogenen Kunden und die Luft hat sich bisher kein
Verkehrsminister und keine Umweltministerin eingesetzt», kritisierte
Resch. «Dieses Urteil würde viele Gründe geben, darüber nachzudenke
n,
ob wir weiter immer nur vor Gericht mit den Vertretern des KBA und
des Verkehrsministeriums zu tun haben sollten.» Die DUH schätze, dass
Autos mit unzulässigen Abschalteinrichtungen am Ende entweder mit
sauberen Systemen nachgerüstet oder stillgelegt werden müssen.