«Die Reise darf hingehen, wo sie hingeht» Von Silke Nauschütz, dpa
Eltern mit schwerstkranken Kindern brauchen im Alltag ein Übermaß an
Kraft. Im Kinderhospiz des Johanniter-Kinderhauses «Pusteblume» in
Burg bekommen sie Hilfe. Es ist ein Ort des Sterbens - und des
Lebens.
Burg (dpa/bb) - Kilian hört aufmerksam Musik von Bach und ein Lächeln
huscht über sein Gesicht - die Töne scheinen zu ihm durchzudringen.
Sein Vater spielt auf dem Klavier, das vor dem Kinderhospiz-Bereich
steht und ist glücklich über diesen Moment. Denn die Reaktion seines
Sohnes ist alles andere als selbstverständlich. Seit Jahren bewegt
sich der Alltag von Peter Wenzel und seiner Frau Romy Richter aus
Chemnitz zwischen Sorge, schönen Momenten und großer Erschöpfung. Der
13-jährige Kilian hat eine seltene Stoffwechselerkrankung mit einer
besonders aggressiven Form der Epilepsie. 2009 als vermeintlich
gesundes Kind zur Welt gekommen, stellten die Ärzte bald fest: Kilian
hat eine Schwerstbehinderung. Seitdem ist das Leben der Eltern, beide
Berufsmusiker, ein anderes. «Man bekommt immer zum ersten Mal so ein
Kind und muss alles selber herausfinden», sagt Romy Richter.
Dazu gehört für das Paar auch zu wissen, wann die Kräfte schwinden
und eine Auszeit nötig ist. An diesem Wintertag hat die Familie
Urlaub, denn für Kilian gibt es im stationären Kinderhospiz in Burg
einen Platz zur Kurzzeitbetreuung. Das bedeutet für das Paar: sechs
Tage mal keine durchwachte Nacht, mal Zweisamkeit und bei Bedarf
Austausch mit anderen Familien über den so besonderen Alltag.
50 000 Kinder und junge Menschen in Deutschland haben nach Angaben
des Deutschen Kinderhospizvereins (DKHV) eine Erkrankung, an der sie
frühzeitig sterben werden. Bundesweit gibt es etwa 19 stationäre und
170 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste - das stationäre
Kinderhospiz in Burg, dass 2022 eröffnet wurde, ist das einzige in
Brandenburg.
Die Sonne taucht die modern gestalteten Räume mit den großen Fenstern
in warmes Licht. Eine Sitzecke in einer Bibliothek mit gespendeten
Büchern bietet Ruhe. Vom großen Wohnzimmer mit Küche gelangt man auf
die Terrasse in einen Garten mit Spielplatz, vorbei an Plüschteddys,
Holzeisenbahn und Entspannungsraum mit Klangbett für die kleinen
Patienten. Den Kamin an der Wand hat eine örtliche Firma gespendet.
Es ist still - nur ein medizinisches Gerät piepst ab und an.
Für Andreas Berger-Winkler vom Träger Johanniter soll alles so wenig
wie möglich an ein Krankenhaus erinnern. Der Südbrandenburger
Regionalvorstand führt durch das Kinderhaus, das zwölf Plätze im
Kinder- und Jugendhospiz hat und eine integrierte Wohngruppe, in der
acht Kinder mit schweren Erkrankungen intensiv betreut werden. Diese
Kombination sei in Deutschland einmalig, erzählt der 51-Jährige und
räumt gleichzeitig mit einem falschen Bild auf. «Familien kommen
nicht nur zum Sterben her.» Das Haus berge Tod und Leben
gleichermaßen. «Manchmal ist so viel Krawall hier, dass man sich 'ne
ruhige Ecke suchen muss.»
Ruhig ist es im Raum der Stille. Dort verabschieden sich Familien von
ihren verstorbenen Kindern. «Wir haben auch schöne Momente des
Abschieds», beschreibt Berger-Winkler. Das sei auch möglich, weil die
Eltern von den Fachkräften in einem langen Prozess darauf vorbereitet
würden. So bemalten Pflegekräfte und Eltern den Sarg, Kerzen werden
zur Erinnerung angezündet.
Der Tod mit seiner Endgültigkeit sei für Eltern meist eine Erlösung,
der Weg dahin mit Hoffen und Bangen kräftezehrend und schwierig, hat
Pflegedienstleiter Lutz Metzner beobachtet. Das Hospiz unterstütze
Familien auch über den Tod ihrer Kinder hinaus. In einem neuen
Eltern-Café etwa können sich betroffene Paare treffen.
Kinderhospize gab es anderswo schon länger, erzählt Andreas
Berger-Winkler. Brandenburger Familien wie Juliane und Christian
Paulick aus Jethe (Spree-Neiße) mussten für einen Hospizplatz für
sich und ihre schwerstkranke Tochter Soé durch ganz Deutschland
fahren, beispielsweise nach Wuppertal in Nordrhein-Westfalen. Soé
wurde mit einem seltenen Gen-Defekt geboren und gilt als schwerst
mehrfachbehindert. Seit ihrem ersten Lebenstag hatte sie schwere
epileptische Anfälle, die auch lebensbedrohlich waren. Christian
Paulick war jahrelang auf Montage, Juliane Paulick mit zwei Kindern
teilweise arbeiten - sie kam an ihre Grenzen, wie die Studentin
erzählt.
Nun können die Paulicks die Zehnjährige Soé in der Nähe betreuen
lassen und mit ihrer gesunden siebenjährigen Tochter Alma auch mal
allein Ausflüge unternehmen. Familien wie die von Soé und Kilian, die
die Diagnose erhalten, dass ihr Kind lebensverkürzt erkrankt ist,
haben nach Johanniter-Angaben pro Jahr Anspruch auf 28 Tage im
Kinderhospiz.
Kraft braucht die 34-jährige Mutter auch für den «Kampf mit den
Ämtern» - für ein Bett, für einen Reha-Buggy, meist gehe nichts ohn
e
Widerspruch und Klage, sagt sie. Ähnliches berichten Kilians Eltern.
Der 13-Jährige, dem eine Lebenserwartung von vier Jahren
prognostiziert wurde und der inzwischen Sitzen gelernt hat, trägt ein
Orthese zur Unterstützung des Bewegungsapparates. Anträge auf Hilfen
werden für die Eltern zur Kraftprobe mit den Krankenkassen.
Auch der Aufenthalt im Kinderhospiz ist von den Kassen nicht komplett
finanziert. Sie tragen 95 Prozent der anerkannten Kosten, erläutert
Berger-Winkler. Wenn die Eltern bei ihren Kindern bleiben wollen,
wird das nicht übernommen, kann aber aus Spenden finanziert werden,
wenn sie das Geld nicht selber aufbringen können. Das ist nicht der
einzige Punkt, bei dem er häufig ins Grübeln kommt. Es fehlen
Fachkräfte: Nur bis zu sechs der zwölf Hospizplätze sind belegt.
Fehlende qualifizierte Fachkräfte in diesem Bereich seien bundesweit
ein gravierendes Problem, um alle Betten betreiben zu können,
bestätigt DKHV-Geschäftsführer Marcel Globisch. Das Versorgungsnetz
sei deutschlandweit eigentlich gut ausgebaut, auch, weil die
Einrichtungen überregional arbeiteten, sich auch vernetzten.
Kilian macht sich inzwischen durch Laute bemerkbar. Er will zu den
anderen Kindern, wie die Mutter deutet. Schwierig sei gewesen, dass
es keine Diagnose der Ärzte gab, dafür aber die Bemerkung der
Mediziner: «80 Prozent der Paare schaffen das nicht.» Darüber ist
Mutter Romy heute noch wütend. «Die Reise darf hingehen, wo sie
hingeht», formuliert die 49-Jährige für Kilian.
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