«Mein Kind wird vor mir sterben» - die kostbaren Tage im Kinderhospiz Von Bettina Grönewald, dpa

Für Eltern ist es das Undenkbare: Das eigene Kind ist todkrank und
sie wissen, es muss vor Mama und Papa sterben. Wie hält man das aus?
«Für mich ist es das perfekteste Kind überhaupt», sagt eine Mutter
im
Kinderhospiz.

Düsseldorf (dpa/lnw) - Kurz bevor Justin mit nur zehn Jahren an einer
schweren Erkrankung sterben muss, hat er noch viele Fragen: «Gibt es
im Himmel Schokolade? Muss ich die kaufen? Wo kriege ich das Geld
her?» Für Anja Eschweiler, Geschäftsleiterin im Kinder- und
Jugendhospiz Regenbogenland in Düsseldorf, ist der Junge ein
Beispiel, dass sterbenskranke Kinder oft viel unbefangener mit dem
Abschiednehmen umgehen können als ihre trauernden Eltern, Geschwister
und Großeltern. «Irgendwann hat er angefangen, Schoko-Nikoläuse zu
sammeln. Den größten hat er mitgenommen», erzählt die 35-Jährige
der
Deutschen Presse-Agentur.

Wer das Regenbogenland besucht - wie jüngst Nordrhein-Westfalens
Ministerpräsident Hendrik Wüst im Vorfeld des Jahrestags der
Kinderhospizarbeit am 10. Februar - wird nicht von Grabesstille und
Dunkelheit umfangen. «Man vermutet, in ein trauriges Haus zu kommen.
So ist es aber nicht», wundert er sich. «Das ist wohl das
Bedrückendste, was einem passieren kann, wenn die Kinder todkrank
werden», sagt der 47-Jährige - selbst Vater einer kleinen Tochter.

Hell und bunt strahlt das Haus seine Besucher an und macht fast
vergessen, dass es Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit
lebensverkürzenden Erkrankungen beherbergt. «Am schwersten ist es, zu
verarbeiten: Mein Kind wird vor mir sterben», sagt Ilka Schrimpf. Die
53-jährige Bankkauffrau erfährt durch ein Blutbild vor einer
Standard-Operation eher zufällig, dass ihr Sohn Konstantin an einer
seltenen, fortschreitenden Muskelerkrankung leidet. «Bis zu seinem
zehnten Lebensjahr konnte er noch laufen», erinnert sie sich.
Inzwischen geht motorisch nicht mehr viel und Konstantin bewegt sich
mit einem Elektro-Rollstuhl.

«Er weiß, er kann um die 30 werden.»

Als 14-Jähriger kommt er zum ersten Mal ins Regenbogenland, heute ist
er 19 Jahre alt. «Er weiß, er kann um die 30 werden - vielleicht ein
bisschen älter», sagt seine Mutter mit fester Stimme. Denkt er über
den Tod nach? «Nö, meistens nicht so», antwortet der Jugendliche.
«Ich verdränge das.»

Unter der Woche besucht er in Bad Honnef ein Internat für Kinder und
Jugendliche mit Einschränkungen. Am Wochenende ist er zuhause in
Mettmann. In seiner Freizeit genießt Konstantin, was er genießen
kann: «Musik hören, Filme gucken, quatschen mit Leuten, auch mal raus
gehen.» Über Krankheiten will der 19-Jährige nicht dauernd reden:
«Ich gehe da ganz locker mit um. Ich habe akzeptiert, dass ich nichts
ändern kann.» Auf den medizinischen Fortschritt hofft er natürlich
trotzdem: «Das wäre toll.»

Ins Regenbogenland kommen Kinder und Jugendliche nicht bloß in der
Endphase ihrer Krankheit zum Sterben. Vielmehr können sie dort über
Jahre ihrer Krankheitsgeschichte mit ihren Liebsten immer wieder
Auszeiten nehmen. «Im Durchschnitt 28 Tage im Jahr, meistens
gestückelt», erklärt Eschweiler.

Das 80-köpfige multiprofessionelle Team versucht, Eltern von reinen
Pflegetätigkeiten zu entlasten und die ganze Familie in ihrer Trauer
aufzufangen. Zeitweise können Angehörige sogar in Appartements
aufgenommen werden. «Miteinander-Momente schaffen», nennt Eschweiler
das.

Im Abschiedsraum

Zum allersten Mal wagt sich Ilka Schrimpf in den schlicht gestalteten
«Abschiedsraum». Der Blick fällt auf ein Kühlbett mit grauer
Bettwäsche in der Mitte, daneben eine Holzsäule mit bunten
Schmetterlingen, auf denen die Namen gestorbener Kinder stehen, an
der Wand ein Bild mit einem Regenbogen über einer üppigen
Blumenwiese, Engel, Kerzen, Musikbox, auch ein verborgener
Wasseranschluss für rituelle Waschungen.

Ein bedrückender Moment für die Mutter. Bislang habe ihr Sohn keine
Wünsche geäußert, wie er sich sein Abschiednehmen eines Tages
vorstelle, sagt sie. «Ich will das demnächst mal ansprechen.»

Der Abschiedsraum ist mit seiner einfachen Möblierung und den
Pastellfarben bewusst zurückhaltend gestaltet, um ihn ganz schnell
nach den Wünschen der Familien umdekorieren zu können. «Hier können

trauernde Angehörige sieben Tage lang Abschied nehmen», erklärt
Eschweiler. Wir hatten hier auch schon alles in blau-weiß». Damals
war ein junger Schalke-Fan gestorben.

In dem Raum könnten auch Schulklassen von ihren Freunden Abschied
nehmen und Geschwister gemeinsam Kinder-Särge bemalen. «Das hilft,
wenn Worte fehlen», weiß sie aus Erfahrung. Die in Deutschland nicht
mehr weit verbreitete Sitte, am Totenbett Wache zu halten, helfe
sehr, den Tod buchstäblich zu begreifen. «Es kommt ja doch immer der
Moment, wo man es einfach nicht wahrhaben will.»

Im «Raum der Stille» mit Blick auf eine Erinnerungsmauer für die
Gestorbenen kuschelt Daryan Feghhi mit seiner Mutter. Mit seinem
Kuscheltier sitzt er im Rollstuhl, seine Mama Narges hält liebevoll
seine Hand. Sprechen kann er nicht. «Er antwortet auf seine Art und
Weise», sagt sie. Und er hat sichtbar Freude an den herein
stolpernden Clowns, die hier zum breitgefächerten Therapie-Angebot
gehören - neben Tieren, Klangschalen oder Aromen.

«Der erste Schock war schlimm»

Schon in der zwölften Schwangerschaftswoche erfährt die heute
53-jährige Mutter, dass ihr Kind eine sehr seltene Krankheit hat:
«eine partielle Trisomie 22 als Mosaik». Weltweit gebe es davon nur
eine Handvoll Vergleichsfälle, sagt man ihr. Dass bei ihrem Sohn noch
eine sogenannte Balkenagenesie - eine angeborene Hirnfehlbildung -
hinzukomme, mache sein Leiden einzigartig.

«Der erste Schock war schlimm. Das hat mich komplett aus der Bahn
geworfen», erinnert sich die Mutter. Eine Abtreibung sei für sie aber
nicht infrage gekommen. Auch ihren Teilzeit-Job als Assistentin in
einem Energiekonzern behält sie. Stattdessen trennt sie sich vom
Vater des Kindes, der mit der Behinderung seines Sohnes nicht
klargekommen sei.

Wie schafft man es, die Trauer zu überwinden und nicht mit dem
Schicksal zu hadern? Narges Feghhi lächelt milde: «Für mich ist es
das perfekteste Kind überhaupt.» Ihr Sohn habe sie geerdet. «Es
vergeht kein Tag, wo ich nicht denke, dass ich die Ehre habe, seine
Mama zu sein. Ich fühle mich ausgesucht.»

Nach Zahlen des Bundesverbands Kinderhospiz leben in Deutschland etwa
50 000 Kinder und Jugendliche mit lebensbegrenzenden Erkrankungen.
Circa 5000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene jährlich sterben
demnach an einem solchen Leiden. Der Verein weist für ganz
Deutschland 20 stationäre Kinderhospize aus - das Regenbogenland ist
eines von sechs in NRW. Außerdem gibt es laut Deutschem Hospiz- und
Palliativverband bundesweit etwa 230 ambulante Dienste für Kinder und
Jugendliche - teils in Kooperation mit Erwachsenen-Diensten.

Wenn ein Kind gestorben ist, gibt es ein Ritual im Regenbogenland:
Alle stehen Spalier, wenn der Sarg vorbeigetragen wird. Selbst in
diesen traurigen Momenten sei sie aber froh, dass die Familien im
Regenbogenland umsorgt seien und dass sie keine Arbeit habe, die man
«an der Stempeluhr ausschaltet», resümiert Eschweiler. «Ich habe
nirgendwo so viel gelacht wie hier.»

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