Studie: Eignungstest für ältere Autofahrer führt zu weniger Unfälle n Von Felix Müschen, dpa
Sollten Senioren ab einem bestimmten Alter zu einem Fahreignungstest
verpflichtet werden? Über diese Frage wird immer wieder diskutiert.
Nun gibt es eine Studie aus Japan, die für die Tests spricht.
Berlin/Hamburg (dpa) - Party auf der Reeperbahn, Cafés und Bars in
der Sternschanze und Shoppen in der Mönckebergstraße - in Hamburg
gibt es viele berühmte Stadtteile und Straßen. Doch die Waitzstraße
in Othmarschen fällt durch eine andere Kuriosität auf:
Schaufensterunfälle. Ob im Mai 2021 in das Gebäude der Hamburger
Sparkasse oder zuletzt im Dezember vergangenen Jahres gegen Tische
und Stühle eines Restaurants - es sind vor allem Senioren, die in der
Straße mit ihren Autos in die Geschäfte fahren.
Im Jahr 2020 schrieb die «Süddeutsche Zeitung» schon von einem Fluch
und zählte bis dahin insgesamt 24 Unfälle durch vorwiegend hoch
betagte Autofahrer in der Einkaufsstraße. Auch in den vergangenen
Jahren vorgenommene Umbaumaßnahmen, wie die Umwandlung der quer zur
Fahrbahn liegenden Parkplätze in Längsparkplätze oder das Errichten
von 60 Spezialpollern, konnten die Zusammenstöße nicht gänzlich
verhindern. Doch könnten eventuell Fahrtests Abhilfe schaffen?
Eine Studie aus Japan ergab nun, dass obligatorische
Fahreignungstests bei Seniorinnen und Senioren zu weniger
Autounfällen führen. Wie die Amerikanische Gesellschaft für Geriatrie
(AGS) mitteilte, wurden dafür Polizeidaten zu Unfällen ausgewertet,
die von Juli 2012 bis Dezember 2019 in Japan geschahen. Untersucht
wurden dabei nur Menschen über 70 Jahren. In dem Zeitraum geschahen
in der Zielgruppe 602 885 Zusammenstöße mit Autofahrern.
Im März 2017 wurde dann eine Gesetzesänderung eingeführt, die
verpflichtende kognitive Screening-Tests für ältere Fahrer vorsieht.
Wenn den Seniorinnen und Senioren dabei Demenz nachgewiesen wurde,
konnte ihnen der Führerschein entzogen werden. Daraufhin sind laut
der Studie die Unfallzahlen bei männlichen Autofahrern kontinuierlich
gesunken. Bei Autofahrerinnen war der Zusammenhang nicht so deutlich.
Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), Siegfried
Brockmann, sieht zwar in den Seniorinnen und Senioren eine ähnlich
auffällige Risikogruppe wie bei jungen Fahrern von 18 bis 24 Jahren.
Derzeit gebe es jedoch noch kein Problem mit übermäßig vielen
Unfällen, da die Menschen über 75 Jahren wesentlich seltener einen
Führerschein besäßen und zudem weniger Kilometer zurücklegten. Vor
allem viele Frauen in dem Alter hätten keine Fahrerlaubnis, was auch
den unterschiedlichen Rückgang der Unfallzahlen bei Senioren und
Seniorinnen in Japan erklären würde. Doch in den nächsten
Generationen führe der demografische Wandel wahrscheinlich dazu, dass
die Zahl der Autounfälle mit betagten Menschen steigen werde.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, gibt es laut Brockmann eine
ganze Palette an Maßnahmen. Von denen, die zum Verlust der
Fahrerlaubnis führen könnten, sei jedoch keine einzige positiv
bewertet worden. Hauptproblem dabei sei die «Falsch-negativ-Quote».
Wenn nämlich jeder ältere Mensch einen Test machen müsse, könne nic
ht
wie bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) «das ganze
Besteck» aufgefahren werden. Bei der MPU nehme man sich zwar den Tag
Zeit für die Menschen, das koste den Beurteilten jedoch 700 Euro -
und zwar in dem Fall dann «anlass- und verdachtslos», betonte der
UDV-Leiter. Dies benachteilige vor allem arme Rentner
überproportional.
Daher plädiert Brockmann für ein niederschwelligeres Angebot: und
zwar eine verpflichtende Rückmeldefahrt. Bei dieser Fahrt werde der
Rentner beispielsweise 45 Minuten von einem Profi begleitet und
beurteilt. Die Seniorinnen und Senioren sollten dabei über ihre
Fahrtüchtigkeit aufgeklärt werden und müssten im nächsten Schritt
aufgrund der Bewertung selbst entscheiden, ob sie den Führerschein
abgeben wollen oder nicht. Diese Rückmeldefahrt dürfe nicht an den
Verlust der Fahrerlaubnis gekoppelt sein, da dies, schon wegen großer
Nervosität, zu vielen Falschurteilen führen würde.
Für den Allgemeinen Deutschen Automobilclub (ADAC) zeigt die
Unfallstatistik, dass die Gruppe der älteren Autofahrer und
Autofahrerinnen nicht überdurchschnittlich viele schwere Unfälle
verursacht. Der dennoch registrierte Anstieg von Unfällen mit
Senioren über 75 Jahren liegt dem Verband zufolge an zwei Gründen:
Erstens hat die Zahl der Menschen über 75 Jahren mit Führerschein
zugenommen und zweitens steigt der Anteil dieser Altersgruppe in der
Bevölkerung.
Das Alter der Menschen ist für den ADAC nicht entscheidend für die
Teilnahme am Straßenverkehr, sondern der Gesundheitszustand und die
Fahrerfahrung. Die Gruppe der älteren Fahrer und Fahrerinnen zeichne
sich in der Regel durch einen situationsangepassten Fahrstil und
vorausschauendes Fahren aus. Auch bisher entwickelte Testverfahren
lehnt der Verband ab, da diese dazu führen könnten, dass Autofahrer
irrtümlich den Führerschein verlieren.
Ein alternatives Modell wurde seit Mittwoch beim Verkehrsgerichtstag
in Goslar debattiert: Eine ärztliche Meldepflicht fahrungeeigneter
Menschen. Die Teilnehmer der Fachtagung sprachen sich aber gegen eine
solche Regelung aus. Dabei ging es neben Senioren auch um schwer
kranke Menschen. Viele Verbände, darunter der TÜV-Verband und der
Verkehrssicherheitsrat, begrüßten die Entscheidung. Sie fürchteten
einen Vertrauensverlust zwischen Arzt und Patient.
Für Ausnahmefälle solle aber eine Rechtsgrundlage geschaffen werden,
die es Ärztinnen und Ärzten erlaubt, Patienten trotz der
Schweigepflicht den Behörden zu melden, forderten die Fachleute.
Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1968 ist das
bereits erlaubt wenn «Gefahr in Verzug» ist, erklärte ein Sprecher
des Automobilclubs von Deutschland. Dazu müssen Ärzte zuerst den
Patienten über seine Erkrankung und die damit verbundenen Gefahren
des Autofahrens aufklären. Das solle nun auf sich langsam
entwickelnde Krankheiten wie etwa Epilepsie ausgeweitet werden -
unter der Voraussetzung, dass die therapeutischen und beratenden
Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Über die Diskussion hinaus zeigt die japanische Studie nach
obligatorischen Eignungstests für Fahrer über 70 Jahren nicht nur
eine Abnahme der Autounfälle, sondern es stieg zugleich die Zahl der
Unfälle bei Radfahrern und Fußgängern in dem Alter.
Daraus schloss Mitautor Haruhiko Inada von der
Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, dass die Sicherheitsmaßnahmen
für Radfahrer und Fußgänger verstärkt werden müssten. Ältere Me
nschen
sollten zudem auf den Verzicht des Autofahrens vorbereitet und ihnen
«sichere, alternative Verkehrsmittel» zur Verfügung gestellt werden.
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