Fett-weg-Spritze: Ein Gamechanger bei starkem Übergewicht? Von Gisela Gross, dpa

Zu Jahresbeginn nehmen sich traditionell viele Menschen vor, ein
bisschen abzuspecken. Sind die momentan vieldiskutierten Medikamente,
die man sich selbst unter die Haut spritzt, da eine gute Idee?

Berlin (dpa) - Bei manchen Menschen mit starkem Übergewicht bis hin
zur Fettleibigkeit bleibt die Mühe vergebens: Auch wenn sie ihre
Ernährung umstellen und Sport treiben, wollen die Pfunde nicht so
recht purzeln. Das bedeutet Frust, gerade wenn das Gewicht auch noch
mit anderen Gesundheitsproblemen wie Diabetes zusammenhängt. Für
solche Menschen sind neuartige Adipositas-Medikamente gedacht, die
man sich zusätzlich zu Lebensstiländerungen selbst unter die Haut
spritzt. Zur Wirkung eines bestimmten Präparats schreibt die
Europäische Arzneimittelagentur Ema etwa: Der Appetit werde
reguliert, das Sättigungsgefühl erhöht, der Hunger verringert.

In jüngster Zeit haben die verschreibungspflichtigen Mittel in
sozialen Netzwerken für Aufsehen gesorgt. Auch weil manche Promis so
abgenommen haben sollen. Tech-Milliardär Elon Musk erwähnte auf die
Frage nach dem Geheimnis seines Aussehens auf Twitter das Fasten
sowie den Namen einer solchen Arznei. Auch weil gesunde Menschen in
den USA offenbar zunehmend zu den Injektionsstiften greifen, um ein
bisschen abzuspecken, ist das Thema zuletzt öfter in deutschen Medien
aufgetaucht. «Meine Patienten fragen verstärkt danach», sagte der
Hamburger Endokrinologe Stephan Petersenn, Sprecher der Deutschen
Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).

Der Wirkstoff, um den es aktuell geht, heißt Semaglutid. In Europa
ist er seit 2018 als Diabetes-Medikament («Ozempic») zugelassen - es
geht etwa darum, den Blutzuckerspiegel zu senken. Neuer, von Anfang
2022, ist eine Zulassung in der EU speziell mit dem Einsatzgebiet
Gewichtsverlust und -kontrolle («Wegovy»): Gedacht ist es für
Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30, also Adipositas. Und
für Übergewichtige (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten
Begleiterkrankung.

«Wegovy» ist in Deutschland, wo etwa jeder vierte Erwachsene als
adipös gilt, bisher jedoch nicht erhältlich. Auf Anfrage nennt der
Hersteller Novo Nordisk Pharma weder einen Termin noch einen
geplanten Preis. Er sichert jedoch Arbeiten «mit Hochdruck» zu, um
das Präparat auch hierzulande für die bestimmten Patientengruppen
zugänglich zu machen.

Angesichts bisheriger Daten erwarten Fachleute einen Nutzen für
bestimmte Betroffene. In einer Studie verloren Patienten, die
begleitend zu Lebensstiländerungen auch eine Dosis Semaglutid pro
Woche erhalten hatten, im Schnitt nach 68 Wochen fast 15 Prozent
Gewicht. Eine Vergleichsgruppe, die ein Scheinmedikament bekam, nahm
im gleichen Zeitraum nur gut zwei Prozent ab, heißt es im «New
England Journal of Medicine». Rund 1960 Menschen mit Adipositas oder
Übergewicht mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung
waren auf zwei Gruppen aufgeteilt worden.

Semaglutid ist nicht der einzige gewichtsreduzierende Wirkstoff, den
es gibt - laut der Studie müssen andere aber ein- bis dreimal täglich
verabreicht werden. Semaglutid weise mit die höchste Effektivität
unter den derzeit zugelassenen Wirkstoffen der Substanzklasse in
Bezug auf eine Gewichtsreduktion auf, so die DGE.

So gut das klingt, in der Praxis sehen Experten noch Hindernisse und
auch Gefahren. Die DGE warnte vor Risiken und Nebenwirkungen und
«einer von den Zulassungsbehörden nicht freigegebenen,
unkontrollierten Anwendung». Da «Wegovy» bisher nicht verfügbar ist
,
werde stattdessen das geringer dosierte «Ozempic» bei Übergewichtigen

als Lifestyle-Medikament zum Abnehmen eingesetzt. In sogenanntem
Off-Label-Use: Patienten müssten dann für den Effekt der
Abnehm-Arznei mehr Wirkstoff spritzen, sagte Petersenn. Die Kosten
könnten sich je nach verabreichter Dosis auf 80 bis rund 200 Euro pro
Woche belaufen.

«Eines der Probleme dabei ist, dass eine Lifestyle-Anwendung nicht
untersucht ist», sagt Petersenn. «Es ist unklar, ob ein
übergewichtiger Patient, der aber nicht adipös ist, überhaupt Gewicht

verliert.» Auch Nebenwirkungen wie Übelkeit und Durchfall seien
möglich. Generell solle die Anwendung eingebettet sein in ein
Gesamt-Therapiekonzept mit Ernährung und Sport unter ärztlicher
Überwachung. Eine weitere Befürchtung ist eine erschwerte Versorgung
von Menschen mit Diabetes durch hohe Nachfrage von Gesunden, die nur
etwas abnehmen wollen.

Selbst für Menschen, die unter die Zulassungskriterien fallen,
bedeuten die Spritzen nicht automatisch dauerhaftes Normalgewicht.
Das Medikament könne nur solange wirken, wie man es einnimmt, betonte
Petersenn. «Es ist keine Wunderwaffe und ändert nichts an genetischen
Faktoren oder dem Lebensstil.» Wer Adipositas habe, müsse also
entweder eine Einnahme auf Jahre einkalkulieren - oder «erhebliche
Disziplin» nach dem Absetzen aufbringen, um das Gewicht zu halten.
Etwaige Effekte einer Langzeiteinnahme seien jedoch unerforscht. Für
manche Betroffene könnten Medikamente aus Petersenns Sicht in Zukunft
aber eine Magen-OP hinfällig machen, was bislang bei massiver
Adipositas und erheblichen Begleiterkrankungen bewährt ist.

Die Abnehm-Spritzen sind bislang zudem auch noch eine Frage des
Geldbeutels. Die Kosten würden nicht von den gesetzlichen
Krankenkassen übernommen, bemängeln Fachleute. «Die neuen Wirkstoffe

könnten zu Gamechangern in der Behandlung von Adipositas werden, wenn
der Gesetzgeber den Weg dafür freimacht», sagte Jens Aberle,
Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. Dass Menschen mit
starkem Übergewicht ihre Behandlung aus eigener Tasche bezahlen
sollen, wertet er als «Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung
der Betroffenen».

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