Intensivmediziner Karagiannidis verlangt Reformen im Gesundheitswesen

Berlin (dpa) - Ohne grundlegende Reformen drohen im deutschen
Gesundheitssystem nach Einschätzung des Intensivmediziners Christian
Karagiannidis Versorgungslücken und hohe Kosten. «Die Pandemie war
nicht schön, aber im Vergleich zu dem, was die nächsten zehn Jahre
auf uns zukommt, war das das deutlich kleinere Problem», sagte der
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische
Intensivmedizin und Notfallmedizin der «Wochentaz».

In allen Berufsgruppen gingen pro Jahr rund 500 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Rente, erklärte Karagiannidis. Millionen Stellen
würden nicht nachbesetzt. «Diese Arbeitskräfte fehlen als
Pflegekräfte, sie fehlen als Beitragszahler - das wird noch völlig
unterschätzt. Und sie werden selbst zu Pflegefällen. Das ist ein
Teufelskreis, aus dem wir erst in ungefähr zehn Jahren wieder
rauskommen.»

Selbst, wenn jetzt grundlegende Reformen auf den Weg gebracht würden,
würden die nächsten zehn Jahre «sehr schmerzhaft», sagte
Karagiannidis voraus und warnte: «Wenn wir damit nicht anfangen,
crasht das Gesundheitssystem.» Das bedeute, dass Patienten nicht mehr
flächendeckend gut versorgt werden könnten. Die Ausgaben im
Gesundheitsbereich stiegen jetzt schon überproportional zum
Bruttoinlandsprodukt. «Wenn das so weitergeht und die demografische
Dynamik dazu kommt, dann wird die Gesundheitsversorgung für die
Menschen mit unteren und mittleren Einkommen nicht mehr bezahlbar.»

Allein Arbeitsplätze in der Pflege attraktiver zu machen, genüge
angesichts der demografischen Entwicklung nicht zur Schließung von
Personallücken, so Karagiannidis. «Das Einzige, was die Zahl der
Arbeitskräfte erhöhen würde, wäre strukturierte Migration im groß
en
Stil.» Bisher habe Deutschland vor allem fertig ausgebildete
Pflegekräfte ins Land geholt. «Die gehen lieber in andere Länder,
weil die Willkommenskultur in Deutschland nicht so top ist, da muss
man ehrlich sein.» 

Er plädierte dafür, in Ländern mit hohen Geburtenraten und einer
hohen Jugendarbeitslosigkeit ein Programm aufzusetzen, das junge
Menschen direkt nach der Schule nach Deutschland holt. «Nach der
dreijährigen Ausbildung sollen sie selbst entscheiden, ob sie
hierbleiben oder ins Heimatland zurückkehren. Aber das müsste jetzt
schnell gehen, und dafür müsste sich erheblich was ändern in
Deutschland.»