Weniger diagnostizierte Krebserkrankungen 2020 wegen Corona

Weniger diagnostizierte Krebserkrankungen bedeuten nicht, dass die
Krankheit auf dem Rückzug ist. Vielmehr wird es nach Angaben von
Wissenschaftlern coronabedingt mehr fortgeschrittene Tumore geben.

Heidelberg (dpa/lsw) - Die Zahl der Krebsneuerkrankungen hat nach
Angaben des Krebsregisters Baden-Württemberg 2020 sieben Prozent
unter dem Durchschnitt der beiden Vorjahre gelegen. «Wir haben
bereits mit dem Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 davor gewarnt,
dass sich aufgrund der ausgesetzten Abklärungs- und
Früherkennungsuntersuchungen eine Bugwelle an spät diagnostizierten
Krebserkrankungen aufbaut», sagte der Chef des Deutschen
Krebsforschungszentrums, Michael Baumann, in Heidelberg. Die Zahlen
schienen diese Befürchtung nun zu bestätigen. Schlussfolgerung sei,
dass Krebsregister viel schneller funktionieren müssten, damit man
solchen Entwicklungen in Zukunft rechtzeitig Paroli bieten könne. Das
Register sammelt Daten über das Auftreten und den Verlauf von
Krebserkrankungen für die Forschung.

Die Inzidenz für Krebs lag laut Register im Jahr 2020 bei 524 pro 100
000 Einwohnern - ein Minus von sieben Prozent. Dieser Rückgang war
besonders stark im April 2020: Hier wurden pro 100 000 Einwohner pro
Jahr 151 Krebserkrankungen weniger diagnostiziert als in den Jahren
davor. Dieses Muster fand sich bei Frauen wie bei Männern sowie auch
bei drei der vier häufigsten Krebsarten - Brust-, Darm- und
Prostatakrebs. Nur die Zahlen bei Lungenkrebs gingen nicht zurück.
Der allgemeine Rückgang wurde bis Jahresende 2020 nicht wieder
ausgeglichen. Die Autoren des Krebsregisters prognostizierten, dass
in den nächsten Jahren mehr Menschen an Krebs sterben.

Als Ursachen für die Entwicklung nannte Baumann zum einen die
Überlastung der Kliniken und anderer medizinischer Einrichtungen. Zum
anderen hätten viele Menschen aus Sorge vor einer Corona-Ansteckung
die Früherkennungsuntersuchungen gemieden.

In Relation zur Einwohnerzahl sterben in Baden-Württemberg bundesweit
die wenigsten Menschen an Krebs. Nach Angaben der Techniker
Krankenkasse (TK) gab es im Südwesten im Jahr 2020 bezogen auf 100
000 Einwohner rund 223 Sterbefälle aufgrund von Krebserkrankungen.
Das ist im bundesweiten Vergleich der niedrigste Wert vor Bayern mit
233. Der Bundesdurchschnitt liegt laut TK bei 252 Todesfällen.