Mit Corona vor die Tür - Bundesländer kippen Isolationspflicht Von Jörg Ratzsch, dpa

Zeigt der Corona-Test zwei Striche, gilt bisher: fünf Tage isolieren
und nicht vor die Tür. Diese Regel wollen mehrere Bundesländer jetzt
abschaffen. Das stößt auf Kritik und Zustimmung gleichermaßen.

Berlin (dpa) - Wer einen positiven Corona-Test hatte, muss künftig in
vier Bundesländern nicht mehr fünf Tage zu Hause bleiben, sondern
kann das Haus verlassen und auch zur Arbeit oder Schule gehen.
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein haben sich
darauf verständigt, die bisherige Isolationspflicht für Infizierte
abzuschaffen, wie sie am Freitag gemeinsam mitteilten. Weitere
Bundesländer denken darüber nach, andere lehnen einen solchen Schritt
ab. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte davor, die
Isolationspflicht aufzuheben.

Die neuen Regeln sollen «zeitnah» in Kraft treten, wie die vier
Länder ankündigten, in Bayern bereits ab nächstem Mittwoch. Dafür
müssen sie nun zunächst ihre Corona-Verordnungen überarbeiten.
Angedacht ist, dass wer wissentlich mit Corona infiziert ist, zwar
künftig offiziell Haus oder Wohnung verlassen darf, aber in
Innenräumen außerhalb der Wohnung eine Maske tragen muss und
Krankenhäuser oder Pflegeheime nicht betreten darf. Personal im
Gesundheitswesen soll bei positivem Corona-Test nicht zur Arbeit
dürfen.

So argumentieren die vier Länder:

- Viele Menschen sind geimpft oder hatten Corona, die
«Basisimmunität» in der Bevölkerung ist hoch, die aktuelle
Omikron-Variante verursacht in der Regel keine schweren
Krankheitsverläufe.

- Die aktuellen eher kurzen Wellen im Sommer und in diesem Herbst
weisen auf den Übergang in eine endemische Phase hin. Als endemisch
gilt eine Krankheit, wenn sie in einer Region mit relativ konstanter
Erkrankungszahl dauerhaft auftritt, wie etwa die Grippe.

- Die meisten EU-Staaten verzichten mittlerweile auf
Isolationspflichten für Corona-Infizierte.

- Es geht um einen neuen Umgang mit Corona mit mehr
Eigenverantwortung der Menschen. Grundsatz soll sein: «Wer krank ist,
bleibt zu Hause».

Bei Bundesgesundheitsminister Lauterbach stießen die Pläne am Freitag
auf großes Kopfschütteln. «Das kommt jetzt zur Unzeit und findet
nicht die Billigung der Bundesregierung», sagte der SPD-Politiker in
Berlin.

Die Argumente des Gesundheitsministers:

- Es gibt zurzeit keinen «keinen medizinischen Grund», die
Isolationspflicht zu kippen, bei etwa 1000 Todesfällen pro Woche,
einer «wahrscheinlich schweren Winterwelle», die komme, «am Vorabend

einer ansteckenderen Variante». Lauterbach nannte die BQ.1.1-Variante
des Omikron-Typs, die sich stärker ausbreite.

- Der Arbeitsplatz muss sicher bleiben. Es muss zudem verhindert
werden, dass Menschen infiziert zur Arbeit gedrängt werden.

- Es droht ein «Flickenteppich» mit verschiedenen Isolationsregeln in
den Bundesländern.

Die Entscheidung, wie sie mit der Isolationspflicht umgehen, liegt in
der Hand der einzelnen Bundesländer. Vom Bund gibt es lediglich die
Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) zur fünftägigen Isolation,
dies hatten die Länder bisher aber geschlossen umgesetzt.

Ob Lauterbachs «Flickenteppich»-Prognose eintritt, werden die
nächsten Tage zeigen. In einer ersten Reaktion ließen etwa
Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen und Bremen am Freitag
erkennen, dass sie an der Isolationspflicht festhalten wollen.
Sachsen zeigte sich offen für ein Aus der Regel, Rheinland-Pfalz und
Thüringen wollen das weitere Vorgehen prüfen. Andere Länder gaben
sich zurückhaltend und forderten ein gemeinsames Vorgehen.

Weitere Reaktionen - Pro:

Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), nannte den Schritt
«verantwortbar und geboten», so lange die derzeitige Virusvariante
nicht von einer anderen verdrängt wird, die das Gesundheitssystem
überlasten könnte. Virologe Hendrik Streeck ist der Ansicht, mit der
Isolationspflicht sei es bei der hohen Dunkelziffer nicht zu
schaffen, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Man solle «zu einem
Isolationsgebot übergehen. Wer sich krank fühlt, sollte zu Hause
bleiben», sagte er der «Fuldaer Zeitung»

Weitere Reaktionen - Contra:

«Wenn jetzt Eltern ihre coronainfizierten Kinder in Kitas und Schulen
schicken dürfen, steigt dort logischerweise die Ansteckungsgefahr»,
kritisierte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft in Schleswig-Holstein, Astrid Henke, die Pläne. Das
gefährde die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften nicht
unerheblich. Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens
(SPD) sagte, sie halte es «epidemiologisch für grundfalsch, mitten im
dritten Pandemieherbst» auf die Isolationspflicht für
Corona-Infizierte zu verzichten. «Auch Personen, die keine Symptome
haben, können das Virus weitertragen und andere Menschen anstecken»,
warnte sie.