Namhafte Mediziner empfehlen Landtag Corona-Neubewertung

Das Signal ist klar: Renommierte Experten sind dafür,
Corona-Schutzmaßnahmen weiter zurückzufahren. Sie befürworten eine
Gleichstellung mit anderen Viruserkrankungen und befürchten eine
schwere Grippewelle. In das Thema Isolationspflicht kommt Bewegung.

Kiel (dpa/lno) - Namhafte Mediziner raten der Landespolitik in
Schleswig-Holstein zu einer Neubewertung der Corona-Lage und warnen
vor einer drohenden Grippewelle. In einer Expertenanhörung im Landtag
schlugen sie am Donnerstag eine Entschärfung von Schutzmaßnahmen wie
Isolations- und Maskenpflicht vor. Zudem appellierten sie an die
Selbstverantwortung: Wer Symptome habe, solle zu Hause bleiben. Auch
in Schleswig-Holstein sind die Infektionszahlen wieder gesunken. Das
Land lag zuletzt etwas über dem Bundesdurchschnitt.

Die Situation habe sich völlig verändert und sei mit der von 2020/21
nicht vergleichbar, sagte der Institutsleiter für Infektionsmedizin
an der Uni Kiel, Prof. Helmut Fickenscher. Er verwies auf eine sehr
hohe Impfquote im Norden und auf eine hohe Genesenenquote. Unter
Berücksichtigung einer hohen Dunkelziffer könne man davon ausgehen,
dass eine deutliche Mehrheit eine Infektion durchgemacht hat. Die
Todesfallquote betrage 0,05 Prozent und darin sei eingerechnet, wer
nicht an, sondern mit Corona stirbt.

Sofern sich die Lage nicht grundsätzlich ändere, sollten
einschränkende Maßnahmen minimiert werden, sagte Fickenscher. Er riet
zum Beispiel dringend dazu, die Maskenpflicht in Gemeinschaftsräumen
von Pflegeheimen abzuschaffen. Diese sei fast schon sittenwidrig.
Fickenscher plädierte auch gegen die Maskenpflicht in Bus und Bahn.
FFP-2-Masken in der Öffentlichkeit seien völlig übertrieben. Aber im

Falle einer Grippewelle sollten Empfehlungen aus der Corona-Pandemie
- wie eine Maske zu tragen und Distanz zu halten - befolgt werden.

Zu den umstrittenen Themen auch in der Landespolitik gehört die
Isolationspflicht für Infizierte. Diese sei ein zahnloser Tiger
geworden, sagte der zugeschaltete Virologe Prof. Hendrik Streeck von
der Universität Bonn unter Hinweis auf eine sehr hohe Dunkelziffer
bei Infektionen. Viele ließen sich nicht testen. Die
Isolationspflicht könne aufgehoben werden. «Wir müssen beginnen,
staatliche Verordnungen zurückzufahren.» Derzeit gehe es nicht mehr
darum, jede Infektion zu vermeiden, sondern schwere Verläufe. Streeck
befürwortete einen Umstieg von Pflichten auf Gebote: Wer sich krank
fühle, sollte zu Haus bleiben. Auch massenhafte Tests von
Klinikmitarbeitern seien nicht zielführend.

Streeck stellte infrage, Sars-CoV-2 einen anderen Stellenwert zu
geben als der Influenza. Er mache sich derzeit mehr Sorgen um eine
verstärkte Grippewelle. «Die Fokussierung auf Sars gefährdet mehr als

sie nützt», sagte der Direktor der Klinik für Infektiologie am
Uniklinikum in Lübeck, Prof. Jan Rupp. Das Hauptproblem sei nicht
mehr Covid, sondern medizinische Unterversorgung in anderen
Bereichen, sagte Rupp. Covid sei jetzt eine Infektion neben anderen.
Rupp sprach sich dafür aus, anstelle einer Isolationspflicht
verantwortungsvolle Regeln und Symptomatiken in den Vordergrund zu
rücken. Bei einer zu starken Fokussierung auf Sars-CoV-2 seien andere
Atemwegserkrankungen nicht ausreichend im Blick.

Die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am
Uniklinikum in Kiel, Prof. Kamila Jauch-Chara, forderte eine Rückkehr
zur Normalität für Erwachsene, Kinder und Jugendliche. «Wir müssen

hin zur Eigenverantwortung.» Jauch-Chara verwies auf eine starke
Zunahme stressbedingter Erkrankungen. In der Pandemie habe sich die
Zahl der Suizidversuche von Kindern und Jugendlichen verdreifacht,
während der Lockdown-Zeit und danach. Erforderlich sei auch eine
verbale Entschärfung im Hinblick auf Corona.

«Wir brauchen wieder einen Normalbetrieb, um wieder arbeitsfähig zu
sein», sagte der Ärztliche Direktor der Lungenklinik Großhansdorf,
Prof. Klaus Rabe. Das sei ein ökonomisches und strukturelles Problem.
Das bestehende Regelwerk entspreche nicht mehr der Lage. Es müsse
auch mental eingeordnet werden, dass Sars-CoV-2 eine Viruserkrankung
von mehreren sei. Derzeit gebe es keinen Grund, eine Covid-19-
Infektion «zu verbesondern». Rabe forderte einen «symptomorientierten

Umgang». Kliniken seien stark unter Druck, Notaufnahmen extrem voll.

Das Gesundheitsministerium verwies zur Isolationspflicht auf eine
fehlende Neubewertung des Bundesgesundheitsministeriums. «Deswegen
beraten wir aktuell in der Landesregierung, wie eine landesseitige
Lösung sinnvoll umsetzbar ist und wie diese konkret aussehen könnte»,

erklärte Ressortchefin Kerstin von der Decken (CDU). Hierzu habe die
Anhörung wertvolle Erkenntnisse und Einschätzungen geliefert. Diese
würden in die Beratungen einbezogen. Die Ministerin signalisierte,
dass sie an der Maskenpflicht in Bus und Bahn festhalten will.

Aktuell sei eine Fokussierung auf Sars zunehmend kontraproduktiv,
kommentierte Ex-Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP). Das hätten in
der Anhörung alle Experten bestätigt. «Mit dieser wissenschaftlichen

Einschätzung kann die Landesregierung nun guten Gewissens die
Isolationspflicht abschaffen und hier auch bundesweit vorangehen.»

Auch Christian Dirschauer vom SSW forderte ein Umsteuern. Die meisten
seien geimpft, Krankheitsverläufe überwiegend mild. «Dennoch werden
die Menschen durch Testregimes, Masken- und Isolationspflichten
weiterhin im psychischen Alarmzustand gehalten.» Skandinavische
Länder zeigten: «Es geht auch ohne Hysterie und übertriebene
Restriktionen».

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