Fehlende Ärzte, knappes Geld - Geburtsstationen droht das Aus Von Carolin Eckenfels und Oliver Pietschmann, dpa

Die Wehen sind da, die Aufregung ist groß - und der Anfahrtsweg in
die nächste Geburtsklinik lang. Das könnte künftig mehr werdende
Mütter in Hessen betreffen.

Dillenburg/Fritzlar (dpa/lhe) - Die vergebliche Suche nach Ärztinnen
und Ärzten oder auch eine mangelnde finanzielle Unterstützung könnte

zur Schließung weiterer Geburtsstationen in Hessen führen. Seit
mehreren Wochen versuchen die Dill-Kliniken, drei leitende Mediziner
für die Geburtshilfe am Standort Dillenburg zu finden, damit die
Abteilung weiterbetrieben werden kann. Im Hospital zum Heiligen Geist
im nordhessischen Fritzlar muss die Geburtsklinik aus den eigenen
Finanztöpfen querfinanziert werden, weil es hier, anders als in
anderen Krankenhäusern, keine pauschale Förderung dafür gibt.

Hintergrund für das drohende Aus in Dillenburg ist einer
Klinik-Sprecherin zufolge, dass eine Ärztin gekündigt hat und zwei
weitere Mediziner vor der Rente stehen. Die Geburtsstation ist
demnach aktuell eine reine Belegabteilung, für die das so genannte
kooperative Belegarztsystem gilt. «Das bedeutet, dass rechtlich
geregelt ist, dass mindestens drei Fachärzte belegärztlich tätig sein

müssen.» Die Klinik schöpfe alle Möglichkeiten aus, um die
ausgeschriebenen Stellen zu besetzen. Leider seien alle Maßnahmen
bisher nicht sehr erfolgversprechend gewesen. «Diese Entwicklung
entspricht einem bundesweiten Trend. In den vergangenen Jahren
mussten deutschlandweit geburtshilfliche Klinken schließen, da der
ärztliche Nachwuchs fehlt.»

In Hessen gingen in den zurückliegenden zehn Jahren die Lichter in 13
Geburtshilfestationen von Kliniken aus. Aktuell gibt es nach Angaben
des Sozialministeriums 43 Krankenhäuser, in denen Hessinnen ihre
Kinder zur Welt bringen können. Das Ministerium führt als Gründe fü
r
die Schließungen an, dass zum einen das pauschale Abrechnungssystem
für Krankenhäuser eine möglichst hohe Zahl von Geburten erfordere, um

die Stationen wirtschaftlich betreiben zu können. «Dies stellt
besonders Kliniken im ländlichen Raum vor wirtschaftliche
Herausforderungen. Zum anderen führt der Mangel an Personal zu
Schließungen von Geburtshilfen.»

Ob und wann es in Dillenburg soweit sein könnte, ist der
Klinik-Sprecherin zufolge noch offen. Alternativen zum drohenden Aus
seien in Prüfung. Kommt es zur Schließung, müssten die werdenden
Mütter deutlich weitere Wege in ein Krankenhaus zurücklegen: nach
Siegen etwa, nach Marburg, Wetzlar oder Gießen. Das würde Fahrtzeiten
von mindestens 30 Minuten bedeuten.

In Fritzlar wird bislang quersubventioniert. «Wir sind unabhängig des
drohenden Energiekollapses nicht mehr länger in der Lage,
Geburtshilfe innerhalb des Hospitals quer zu subventionieren», heißt
es in einem Brief des Klinik-Geschäftsführers Carsten Bismarck an die
Landesregierung, das Regierungspräsidium, Landrat und Bürgermeister.

«Die geburtshilfliche Landschaft in Nordhessen und angrenzender
Regionen hat sich innerhalb der letzten 15 Jahre deutlich verändert,
die Anzahl der aktiven klinischen Geburtshilfen ist auf weniger als
die Hälfte geschrumpft», sagte Bismarck auf Anfrage der Deutschen
Presse-Agentur. Die Nichtgewährung der pauschalen Förderung in Höhe
von 400 000 Euro im Jahr führe zu einer massiven
Wettbewerbsverzerrung im nordhessischen Raum. Mit 60 Prozent der
Entbindungen im Schwalm-Eder-Kreis trage die Klinik die Hauptlast.

Die Förderung ist an Bedingungen geknüpft, die von dem Gemeinsamen
Bundesausschuss festgelegt wurden, dem die großen Organisationen des
Gesundheitssystems angehören. Eines der Kriterien ist Bismarck
zufolge eine Anfahrtszeit nicht über 40 Minuten zur nächsten
Geburtshilfe.

Nach einer Kleinen Anfrage aus dem Jahr 2019, basierend auf Daten des
Statistischen Landesamtes aus dem Zensus 2011, gab es schon vor der
Schließung mehrerer Geburtshilfen 0,3 Prozent hessischer Orte mit
einer Fahrzeit von mehr als 40 Minuten und knapp sechs Prozent mit
einer Fahrzeit zwischen 31 und 40 Minuten. Bismarck: «Unsere
Patientinnen hätten realistisch deutlich längere Anfahrten als 40
Minuten in andere geburtshilfliche Klinken, würde die Fritzlarer
Geburtsklinik nicht zur Verfügung stehen.»

Aus Sicht des Landes ist die Versorgung von Schwangeren in Hessen
gesichert. Um im ländlichen Raum künftig mehr Auswahlmöglichkeiten zu

schaffen, folge das Sozialministerium einer der
Handlungsempfehlungen, die mit dem «Runden Tisch Hebammen» erarbeitet
worden sei, und prüfe derzeit das Konzept des «Hebammengeleiteten
Kreißsaals». Diese werden allein von Hebammen geführt.

Die Opposition im Landtag sieht raschen Handlungsbedarf. Die
Linke-Fraktion hatte in dieser Woche eine Sondersitzung des Sozial-
und Integrationspolitischen Ausschusses zu dem Thema beantragt. Seit
2008 seien ein Drittel der Geburtsstationen in hessischen
Krankenhäusern geschlossen worden, sagte die gesundheitspolitische
Sprecherin Petra Heimer. Was bringe ein Runder Tisch «mit vielen
guten Ideen im Ministerium, wenn kaum etwas davon umgesetzt und im
ländlichen Raum weiter die medizinische Versorgung zusammengestrichen
wird?», so Heimer. Die Landesregierung müsse «mit allen Mitteln daf
ür
Sorge tragen, dass ein wohnortnahes Angebot der Geburtshilfe in allen
hessischen Regionen unter Wahrung der Rettungsfristen bestehen
bleibt».