«Komplexer als Sudoku» - die Ampel-Pläne zur Cannabis-Legalisierung Von Jörg Ratzsch, dpa
Es gehört zu den besonders umstrittenen Vorhaben der Ampel: Die einen
können die Umsetzung kaum erwarten, die anderen sind strikt dagegen.
Nun hat die Regierung beim Thema Cannabis-Freigabe den nächsten
Schritt gemacht. Aber es bleiben noch viele Fragezeichen.
Berlin (dpa) - Cannabis könnte nach Einschätzung von
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits im übernächsten
Jahr in Deutschland legal gekauft, angebaut und konsumiert werden -
vorausgesetzt, die Legalisierungspläne der Ampel-Koalition scheitern
nicht an internationalem und Europa-Recht. Der SPD-Politiker legte am
Mittwoch in Berlin Eckpunkte für eine mögliche Legalisierung der
Droge vor. Die Materie sei ausgesprochen komplex. «Ich könnte mir
aber gut vorstellen, wenn alles gut läuft, dass dann 2024 die
Legalität erreicht ist», sagte Lauterbach.
Das Bundeskabinett stimmte seinen Vorschlägen für eine Legalisierung
am Mittwoch zu. Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC)
sollen demnach künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel
eingestuft werden. Erwerb und Besitz von bis zu 30 Gramm
«Genusscannabis» sollen straffrei, privater Eigenanbau in begrenztem
Umfang erlaubt und ein Verkauf an Erwachsene in «lizenzierten
Fachgeschäften» und möglicherweise auch Apotheken ermöglicht werden
.
Der Anbau der Pflanzen soll staatlich reguliert in Deutschland
stattfinden. Union und Ärztevertreter kritisierten die Pläne.
Umsetzung offen - Prüfung in Brüssel
Ob diese überhaupt umgesetzt werden können, ist im Moment aber noch
offen. Die Eckpunkte gehen nun nach Brüssel. Ein konkretes Gesetz
will Lauterbach nur auf den Weg bringen, wenn die Pläne dort einer
europa- und völkerrechtlichen Prüfung standhalten. Dem Minister
zufolge verbieten es EU-Verträge eigentlich, Cannabis in Verkehr zu
bringen. Im beschlossenen Eckpunktepapier wird hier unter anderem das
sogenannte Schengener Durchführungsübereinkommen genannt.
Der Plan der Bundesregierung ist es, die EU davon zu überzeugen, dass
mit einer Legalisierung und strengen Regulierung des Cannabis-Marktes
dem Anliegen der EU-Verträge zum Gesundheits- sowie Kinder- und
Jugendschutz besser Rechnung getragen werden kann. Mit dem
Cannabis-Verbot habe Deutschland in den vergangenen Jahren «keine
vorzeigbaren Erfolge» erzielt. Vielmehr sei der Konsum gestiegen.
«Probekonsum» und «Sudoku»
Er selbst habe schon einmal «probeweise konsumiert» und das auch
öffentlich gemacht, sagte der Minister auf Nachfrage. Es sei ein
«Probekonsum» gewesen, «wie das bei vielen Ärzten nicht unüblich
ist,
dass man die Dinge ausprobiert, (...) mit denen man sich beschäftigt,
wenn es gesundheitlich nicht gefährdend ist».
Sollte die EU mitspielen, rechnet er mit einem komplizierten
Gesetzgebungsverfahren zur Legalisierung des Rauschmittels. «Die
Erstellung dieser Eckpunkte war keine Kleinigkeit und in der
Komplexität geht das über das hinaus, was durch einen schönen
Sudoku-Abend abgerufen wird.»
Viele Detailfragen sind noch offen, zum Beispiel, welche Regeln im
Straßenverkehr getroffen werden müssten, an welche Bedingungen
Lizenzen zum Verkauf oder Anbau von Cannabis geknüpft werden sollen
oder wie der Gesundheitsschutz, um den es Lauterbach zufolge hier
vorrangig gehen soll, konkret verbessert werden soll. Die aktuell
vorliegenden Pläne der Ampel sehen zunächst folgendes vor:
- Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) sollen
künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.
- Der Erwerb und Besitz von maximal 20 bis 30 Gramm «Genusscannabis»
zum Eigenkonsum sollen straffrei sein unabhängig vom konkreten
THC-Gehalt. Auf eine THC-Grenze soll wegen zu großen Prüfaufwands bei
möglicher Strafverfolgung verzichtet werden.
- Privater Eigenanbau wird in begrenztem Umfang erlaubt - «drei
weibliche blühende Pflanzen pro volljähriger Person», geschützt vor
dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen.
- Der Verkauf soll in «lizenzierten Fachgeschäften» - Zutritt erst ab
18 - und eventuell Apotheken ermöglicht werden. Werbung für
Cannabisprodukte wird untersagt. Die Menge, die pro Kunde verkauft
werden darf, wird begrenzt. Einen Versandhandel soll es zunächst
nicht geben. Der Handel ohne Lizenz bleibt strafbar.
- «Wegen des erhöhten Risikos für cannabisbedingte Gehirnschädigung
en
in der Adoleszenz» soll geprüft werden, ob es für unter 21-jährige
Käufer eine THC-Obergrenze geben soll.
- Neben der Umsatzsteuer auf Verkäufe ist eine «Cannabissteuer»
geplant, die sich nach dem THC-Gehalt richtet. Ziel ist ein
Endverbraucherpreis, «welcher dem Schwarzmarktpreis nahekommt».
- Cannabis-Produkte zum Rauchen oder in Form von Kapseln, Sprays oder
Tropfen sollen zugelassen werden. Sogenannte Edibles, also etwa Kekse
oder Süßigkeiten mit Cannabis, zunächst nicht.
- Aufklärung, Prävention, Beratung und Behandlungsangebote sollen
ausgebaut werden.
- Begleitend sollen Daten erhoben und analysiert werden zu den
gesellschaftlichen Auswirkungen der Cannabis-Freigabe. Nach vier
Jahren sollen die Regelungen bewertet und gegebenenfalls angepasst
werden.
Vor allem aus der Union kamen scharfe Angriffe: Der Chef der
CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, warf Lauterbach
eine «offene Verharmlosung des Drogenkonsums» vor.
CDU-Generalsekretär Mario Czaja appellierte an die Ampel-Koalition,
das Vorhaben fallen zu lassen. Vor allem jungen Menschen werde der
Eindruck vermittelt, es handele sich um eine harmlose Droge. «Das
Gegenteil ist der Fall. Der frühe Konsum hat erheblich negativen
Einfluss auf das Wachstum und die Entwicklung des Gehirns», sagte er
der Deutschen Presse-Agentur. Statt sich mit Drogenfreigabe zu
beschäftigen, solle der Gesundheitsminister den Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen in einer ihrer schwersten Krisen helfen. Bayerns
Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) warnte vor einem
«Drogentourismus» nach Deutschland.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,
Andreas Gassen, äußerte in der «Rheinischen Post» «Zweifel, ob di
e
geplante Legalisierung am Ende dazu nützt, die Drogenkriminalität
einzudämmen und die Umstiege auf härtere Drogen zu verhindern».
Abgelehnt werden die Pläne auch von der Bundesärztekammer. «Die
Bundesregierung bagatellisiert mit der Legalisierung die
gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums und konterkariert die
präventiven Bemühungen im Suchtbereich», sagte Präsident Klaus
Reinhardt den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die bisherige Verbotspolitik sei gescheitert, hieß es dagegen von der
Bundespsychotherapeutenkammer. «Ein legaler Verkauf ist besser als
ein unkontrollierter Schwarzmarkt und ermöglicht erst einen
ausreichenden Gesundheits- und Jugendschutz», erklärte Präsident
Dietrich Munz. Der Branchenverband Cannabiswirtschaft zeigte sich
«dankbar», dass die Bundesregierung die Legalisierung von Cannabis
vorantreibe, um den illegalen Markt zurückdrängen.
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