Immunologe: Als Risikopatient nicht auf neuen Omikron-Booster warten

Berlin (dpa) - Nach der Zulassung eines weiteren Omikron-Boosters in
der EU rät der Immunologe Carsten Watzl Risikogruppen dazu, nicht auf
dessen Verfügbarkeit in Deutschland zu warten. «Wer unter die
bisherige Empfehlung der Ständigen Impfkommission für eine zweite
Auffrischimpfung fällt, sollte jetzt besser den an die
Omikron-Sublinie BA.1 angepassten Impfstoff nehmen, der in diesen
Tagen bei den Hausärzten ankommt», sagte der Generalsekretär der
Deutschen Gesellschaft für Immunologie am Dienstag der Deutschen
Presse-Agentur. Diese Menschen, etwa über 60-Jährige und/oder
Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, sollten auch wegen mehrerer
offener Fragen besser nicht wochenlang auf das etwas neuere Präparat
warten.

Ein Expertenausschuss der EU-Arzneimittelbehörde EMA hatte am Montag
eine Empfehlung zur Zulassung eines Boosters von Biontech/Pfizer
ausgesprochen, der an die aktuell zirkulierenden Sublinien BA.4/BA.5
angepasst ist. Die Europäische Kommission erteilte daraufhin sogleich
die Zulassung. Anfang September waren an die Variante BA.1 angepasste
Vakzine zugelassen worden. BA.1 spielt in Deutschland aber schon
länger keine Rolle mehr. Sowohl die an BA.1 als auch die an BA.4/BA.5
angepassten Impfstoffe berücksichtigen auch noch das ursprüngliche
Sars-CoV-2. Ziel ist ein breiterer Schutz.

Zu der häufig gestellten Frage, welcher der beiden neuen Impfstoffe
besser sei, gebe es keine Daten, sagte Watzl. In Versuchen mit Tieren
seien die jeweiligen Ergebnisse ähnlich gewesen, direkte Vergleiche
fehlten aber. «Insofern ist für mich offen, wie viel Vorteil der an
BA.4./BA.5 angepasste Impfstoff wirklich bringt.»

Die Effektivität hängt auch davon ab, welche Corona-Varianten in den
nächsten Monaten zirkulieren werden - es ist derzeit aber offen, in
welche Richtung sich das Virus weiterentwickelt. Für jüngere,
immungesunde Menschen und Menschen, die im Sommer eine
Corona-Infektion durchmachten, sehen Experten im Moment keine
Notwendigkeit für einen Omikron-Booster.

«Es wäre überraschend, wenn BA.4/BA.5 uns auch noch im Herbst und
Winter beschäftigen würden. Es werden irgendwann neue Varianten
kommen», sagte der Dortmunder Immunologe. In den beiden
Omikron-Sublinien, die international derzeit unter Beobachtung
stünden - BA.2.75 und BA.4.6 - sehe er eher nicht das Potenzial für
eine Ausbreitung hierzulande.

Für eine bessere Passgenauigkeit des Impfstoffs in Anbetracht der
aktuellen Varianten wurden für die Zulassung insbesondere zwei
Datensätze herangezogen, wie Watzl schilderte: Daten aus Studien an
Menschen mit dem BA.1-Impfstoff und Ergebnisse des BA.4/BA.5-Vakzins
aus Versuchen mit Mäusen zur Immunreaktion. Dass es speziell zum
neuesten Impfstoff nur Daten von Mäusen, aber nicht von Menschen
gebe, dürfe man nicht überbewerten, sagte Watzl. «Das ist jetzt kein

riesengroßer Menschenversuch und auch kein experimenteller
Impfstoff.» Der BA.4/BA.5-Impfstoff sei im Vergleich zum BA.1-Vakzin
und letztlich auch zum ursprünglichen Präparat minimal verändert.

Zudem könne man selbst in klinischen Studien mit mehreren Hundert
Probanden sehr seltene Nebenwirkungen nicht erfassen, sagte Watzl.
«Neue, antigenspezifische Nebenwirkungen sind aber in dem Fall nicht
auch zu erwarten. Sie müssten sonst auch bei Infektionen mit dem
Virus auftreten.»

Watzl bekräftigte seinen Wunsch nach einer baldigen Stiko-Empfehlung
zu den angepassten Impfstoffen. «Die Leute wollen wissen, was sie
machen sollen.» Er hoffe, dass das Gremium nicht auf Anwendungsdaten
aus den USA (BA.4/BA.5) und Großbritannien (BA.1) warte.