Später Kinderwunsch: Frauen länger fit - ihre Eizellen aber nicht Von Anja Sokolow, dpa
Spätes Babyglück jenseits der 40? In Kinderwunschkliniken suchen
solche Frauen zunehmend Hilfe. Viele fühlen sich noch jung und fit.
Doch biologisch sind sie es nicht.
Berlin/Wiesbaden/Rostock (dpa) - In Kinderwunschkliniken
bundesweit suchen immer mehr ältere Frauen Hilfe - doch ihre Chancen
sind oft relativ gering. Waren es 2011 noch rund 8000 Frauen aus
dieser Altersgruppe, lag die Zahl zehn Jahre später bereits bei mehr
als 12 600 Patientinnen. «Die Zahlen steigen nicht exorbitant, aber
es ist ein Trend zu spüren», sagt Andreas
Tandler-Schneider, Vorstandsmitglied im Deutschen IVF-Register, das
Daten über Behandlungen aus mehr als 130
Kinderwunschzentren bundesweit zusammenträgt.
Oft seien die Frauen überrascht darüber, wie schlecht die Aussichten
auf ein Baby trotz reproduktionsmedizinscher Hilfe seien. Ab 40 sinke
nicht nur die Schwangerschaftsrate, die Fehlgeburtenrate nehme auch
stark zu. «Die etwa 10 bis 20 Prozent Frauen, die pro Embryotransfer
schwanger werden, verlieren die Kinder zu 50 Prozent wieder», so
Tandler-Schneider. «Viele haben auch einfach unrealistische
Erwartungen an die Reproduktionsmedizin.»
Doch woran liegt es, dass sich immer mehr Frauen erst spät einen
Kinderwunsch erfüllen wollen? Aus Sicht des Gynäkologen
Tandler-Schneider ist es ein «generelles Phänomen in unserer
Gesellschaft, dass wir uns jünger fühlen als wir sind.» Die
Eierstockreserve gehe diesen Weg aber nicht mit. «Wir werden immer
älter, bleiben länger fit, aber es ist nicht zu sehen, dass die
Frauen später in die Wechseljahre kommen.»
Bei vielen Paaren überwiege zunächst der Wunsch, das Leben ohne
Kinder zu gestalten und Karriere zu machen. Vor allem in Großstädten
sei das zu beobachten. «Hier ist der Akademikeranteil relativ hoch
und viele Paare beschäftigen sich relativ spät mit dem Kinderwunsch.»
Tandler-Schneider, Arzt am Berliner Fertility Center, sieht einen
«Zielkonflikt» in der Gesellschaft zwischen Kinderwunsch und
gleichzeitig mangelnder Bereitschaft, diesen zu realisieren.
Eine immer größere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt, lange
Ausbildungszeiten oder auch wirtschaftliche Unsicherheiten zu Beginn
des Berufslebens seien nur einige Gründe für den aufgeschobenen
Kinderwunsch, ergänzt Jasmin Passet-Wittig vom Bundesinstitut für
Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.
«Auch der Aspekt, dass man auch einen passenden Partner braucht, wird
oft vernachlässigt», so die Forscherin. «Hohe Scheidungsraten deuten
darauf hin, dass selbst Ehen instabiler sind als früher. Es wird
überhaupt schwieriger, einen Partner zu finden, der auch ein Kind
will, da Kinderlosigkeit akzeptierter ist.»
«Viele Menschen haben das Gefühl, dass keine Grenze mehr gesetzt ist
für das Alter, in dem man Kinder bekommen kann», sagt Sonja Indira
Steinert, Patientenbetreuerin bei der Kinderwunsch-Beratungsplattform
Fertilly.com. Vor allem nach Medienberichten über Promis, die noch
sehr spät Kinder bekommen haben, sei das Aufkommen an Anrufen
besonders hoch. «Doch Schwangerschaften wie die der Promis entstehen
oftmals mit Methoden, die in Deutschland nicht erlaubt sind - etwa
durch Eizellspenden.»
«Leider sind relevante Statistiken weitgehend unbekannt oder aber es
werden die Augen vor den Erfolgschancen verschlossen. Der
Kinderwunsch ist so groß, da wird alles andere ausgeblendet», sagt
Steinert. Aus ihrer Sicht mangelt es häufig schon an grundlegendem
Wissen über die Fruchtbarkeit.
«Schon in der Schulbildung liegt eine große Fehlerquelle, da geht es
ja hauptsächlich um die Verhütung von Schwangerschaften, wodurch ein
völlig unrealistisches Bild von Fruchtbarkeit entsteht», meint
Steinert. Das teils mangelnde Wissen ziehe sich durch alle Schichten
der Gesellschaft. Ein weiteres Problem sei, dass
Kinderwunschbehandlungen noch immer ein großes Tabuthema seien und
viele späte Eltern nicht darüber sprächen, auf welche Art und Weise
sie ein Kind bekommen hätten. Auch das trage nicht zur Aufklärung
bei.
Weil sie jahrelang vertröstet wurden oder der Partner fehlt,
entscheiden sich laut Tandler-Schneider zunehmend auch Single-Frauen,
ihren Kinderwunsch mit einer Samenspende allein zu realisieren, bevor
es zu spät ist. «Früher gab es Sorgen seitens der
Reproduktionsmediziner, doch diese hat man jetzt ausräumen können, da
die Entwicklung der Kinder laut der bisherigen Forschung unauffällig
ist und man den Patientinnen den Kinderwunsch nicht absprechen kann.»
Und dann seien da noch die Frauen um die 30, die Eizellen einfrieren
lassen, um später damit schwanger zu werden. «Sie kaufen sich
praktisch eine Versicherung, dass es nach 40 auch noch funktionieren
wird. Doch das ist eine Pseudosicherheit», sagt der Arzt. Die Erfolge
beim Social Freezing seien mit etwa 20 Prozent nicht so hoch wie mit
frischen Eizellen, wo die Erfolgsquote über alle Altersgruppen bei
etwa 31 Prozent liege, so Tandler-Schneider. Auch fehle es noch an
Erfahrungswerten. In Deutschland seien relativ viele Eizellen
eingefroren - aber nur wenige wieder eingesetzt worden.
Gelingt der späte Kinderwunsch mit Ende 30, Anfang 40 doch noch, hat
das aus Sicht des Wissenschaftlers Mikko Myrskylä vom Rostocker
Max-Planck-Institut für demografische Forschung eine Menge Vorteile
für die Kinder. «Viele Studien zeigen, dass Kinder von älteren Elte
rn
besser in der Schule sind, höhere geistige Fähigkeiten haben und im
Alter eine spätere Sterblichkeit aufweisen», sagt der
Sozialstatistiker. «Je später ein Kind geboren wird, desto besser
sind die sozialen Voraussetzungen für ein Kind.»
Ein weiteres Plus: Die Kinder würden meist in stabilere Familien
geboren. «Ältere Eltern haben ein geringeres Risiko, sich scheiden zu
lassen», so Myrskylä. Außerdem seien die Eltern auch beruflich meis
t
etabliert. Myrskylä und Kollegen haben zudem den Glücks-Aspekt
erforscht: «Wenn Menschen Kinder bekommen, sind sie einige Jahre lang
glücklich, dann sinkt das Glücksgefühl wieder auf das
Ausgangsniveau», so der Wissenschaftler. Bei Frauen ab 35 Jahren sei
das Glücksgefühl jedoch sehr stark und halte auch langfristig an.
Klappt es mit dem Kinderwunsch nicht, sei die Enttäuschung zunächst
meist sehr groß, sagt Tandler-Schneider. «Da reagieren die Paare auch
mit depressiven Phasen, sind traumatisiert, einige stürzen sich in
die Arbeit.» Langfristig ändere sich das meist: «Durch die empirisc
he
Forschung weiß man, dass auch Paare, die keine Kinder haben, sehr
glücklich miteinander sind und ein zufriedenes Alter haben. Dass man
nur mit Kindern glücklich ist, ist ein Märchen.»
Welches ist nun das beste Alter, sich mit dem Kinderwunsch zu
beschäftigen? Aus Myrskyläs Sicht ist es «wahrscheinlich
meistens eine schlechte Idee, auf den richtigen Moment zu warten». Es
gebe zu viele Unsicherheiten. Sicher sei: «Wir können die Biologie
nicht kontrollieren.» Tandler-Schneider sagt: «Der beste Zeitpunkt
für das Kinderkriegen ist daher ein möglichst zeitnaher, dies gilt
vor allem für Frauen ab 35.»
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