Sorgen vor dem neuen Corona-Schuljahr - NRW zuerst am Start Von Fatima Abbas und Yuriko Wahl-Immel, dpa

Die Pandemie verlangt allen am Schulleben Beteiligten nun schon seit
Jahren Enormes ab. Auch 2022/23 stehen wieder große Herausforderungen
an - altbekannte und neue. Es gibt Zweifel, Kritik, aber auch ein
Versprechen.

Düsseldorf/Berlin (dpa) - Das vierte Schuljahr unter
Pandemiebedingungen steht vor der Tür. Im ersten Bundesland, nämlich
Nordrhein-Westfalen, beginnt nach den Sommerferien wieder der
Unterricht - und damit kehren auch Sorgen vor einer neuen
Ansteckungswelle und Zweifel an ausreichenden Schutzmaßnahmen in die
Klassenzimmer zurück. Wie sieht es an den Schulen aus - nach schon
mehr als zweieinhalb Jahren kräftezehrendem Corona-Alltag in
Deutschland?

In NRW ist die Stimmung zum Schulstart durchwachsen. Wenn am
kommenden Mittwoch rund 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler wieder
starten, fehle den Bundesländern «jegliche verbindliche und
gesetzliche Regelung» zum Schutz vor Corona, moniert der Präsident
des Lehrerverbands NRW, Andreas Bartsch. Er zeigt auf den Bund. Da
das neue Bundesinfektionsschutzgesetz erst zum 1. Oktober greifen
werde, bleibe den Ländern vorerst nichts anderes übrig, als mit
«bloßen Empfehlungen» zu arbeiten. Auch bei der Impfung der
Schülerschaft brauche es mehr Tempo, fordert Bartsch.

Bislang sind bundesweit 69,3 Prozent der 12-bis 17-Jährigen
grundimmunisiert - haben also meist zwei Impfdosen erhalten (Stand 6.
August 2022). Bei den 5-bis 11-Jährigen, für die die Impfkommission
Stiko die Corona-Impfung erst seit Mai generell empfiehlt, sind es
gerade einmal 20,1 Prozent. Luft nach oben gibt es also noch
reichlich.

Immerhin sollen ab 9. September vier neue Impfstoffe zugelassen
werden, die anders als die bisherigen auch gut vor einer Ansteckung
mit dem Virus, also nicht nur vor schweren Verläufen, schützen
sollen. Reicht das für ein entspanntes Schuljahr? In NRW und anderswo
herrscht auch in diesem Jahr teils große Verunsicherung. Das von
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco
Buschmann (FDP) vor wenigen Tagen vorgestellte Schutzkonzept lässt
den Ländern viel Ermessensspielraum.

Es schließt Schulschließungen aber kategorisch aus. Nur wenn der
Präsenzunterricht auszufallen droht, ist eine Maskenpflicht im
Unterricht vorgesehen - mit einfachen OP-Masken und auch erst ab
Klasse fünf. Dass an Grundschulen «selbst im Falle drohender
Personalausfälle und Schulteilschließungen keine Maskenpflicht
angeordnet werden darf, ist uns völlig unverständlich», kritisiert
der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger.
Das Risiko von Schulschließungen werde faktisch in Kauf genommen.
Argument des Bundesbildungsministeriums dagegen: Das dauerhafte
Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes könne gerade für Kinder im
Grundschulalter «belastend sein». Die richtige Balance bleibt also
auch im dritten Pandemiejahr ein Kraftakt.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW befürchtet die
Schulleitungsvereinigung beträchtliche Unterrichtsausfälle, wenn sich
Lehrerinnen und Lehrer auch in diesem Herbst und Winter reihenweise
mit Corona anstecken. Maske würden nur 70 bis 80 Prozent der
Schülerinnen und Schüler freiwillig tragen, schätzt die
Landesvorsitzende Antonietta Zeoli. Die Verunsicherung, in welchem
Ausmaß die Pandemie weiter auf dem System Schule lasten werde, bleibe
wohl noch lange bestehen.

Mehrere Organisationen, darunter der Verband für Bildung und
Erziehung (VBE), warnen vor einem «Flickenteppich», sollten die
Länder auch in diesem Jahr unterschiedliche Vorstellungen bei der
Umsetzung von Corona-Schutzmaßnahmen haben. Es müsse einheitliche und
klare Kriterien geben, dafür sollten sich die Länder abstimmen,
lautet der dringende Appell - dem sich auch die Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände angeschlossen hat.

Die amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz,
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), fordert
einen nationalen Schulgipfel, um diese Abstimmung zu ermöglichen.
Noch warteten die Länder allerdings auf eine Einladung von
Gesundheitsminister Lauterbach, sagt sie.

Auch die Debatte um Luftfilter nimmt zum Schulstart wieder Fahrt auf.
VBE-Bundeschef Udo Beckmann sieht große Versäumnisse in den
Bundesländern, die flächendeckende Ausstattung mit Luftfiltern sei
längst nicht erreicht. In NRW wird das ebenfalls beklagt. Es könne
nicht beim Aufruf zum Lüften bleiben, kritisiert etwa Anke Staar von
der Landeselternkonferenz. Den Schülern drohe sonst «Frieren wie im
letzten Winter». Die Gaskrise könne das Problem sogar verschärfen, da

die Kommunen finanziell noch stärker belastet seien, warnt Staar.

Die Hausaufgabenliste bleibt lang. Immerhin zeigt sich die
Bundesbildungsministerin zuversichtlich, dass es 2022/23 einen
«normalen» Schulalltag geben kann. Die Schülerinnen und Schüler
hätten in der Pandemie die Hauptlast getragen. «Das nächste Schuljahr

muss ein normales werden, zumindest so normal, wie es nur möglich
ist. Dafür werde ich kämpfen», verspricht Bettina Stark-Watzinger.
Nicht nur im Schulstart-Land NRW wird man sie beim Wort nehmen.