Profiboxerin Dilar Kisikyol: Wenn Fäuste fliegen gegen Parkinson Von Franko Koitzsch, dpa

Wenn an Parkinson erkrankte Menschen am Boxsack trainieren, ruft das
Verwunderung hervor. Eine Hamburger Profiboxerin leitet einen solchen
Kurs für Frauen. Ist das sinnvoll?

Hamburg (dpa) - Boxen hat schon immer polarisiert. Mit Fäusten
aufeinander einzuschlagen, wenn auch in gepolsterten Handschuhen,
kann nicht gesund sein, lautet das Hauptargument der Kritiker. Die
Hamburger Profiboxerin und Sozialpädagogin Dilar Kisikyol sieht das
anders. Sie steht nicht nur im Ring und strebt als Dritte der
aktuellen WBA-Rangliste Ende des Jahres einen WM-Kampf im
Superleichtgewicht (bis 63,5 kg) an. Kisikyol leitet in Hamburg auch
eine Gruppe von elf Frauen, die an Parkinson erkrankt sind und
Box-Training absolvieren.

Skeptiker wittern bei Parkinson und Boxen einen Widerspruch in sich.
Muhammad Ali, als weltbester Boxer und Jahrhundert-Athlet verehrt,
litt an Parkinson. Grund sei das Boxen gewesen, lautet eine These.
Bewiesen ist der Zusammenhang nicht, behauptet wird er weiterhin.
Warum sollen dann ausgerechnet an Parkinson leidende Menschen also
boxen?

«Es geht um Kraft und Beweglichkeit, um Arm- und-Bein-Koordination,
um Reaktionsfähigkeit», berichtet Dilar Kisikyol. «Die verlieren
Parkinson-Patienten allmählich. Mit Boxen können wir diese
Fähigkeiten beleben.» Die auch Schüttellähmung genannte Erkrankung

des zentralen Nervensystems lässt Muskeln versteifen, schränkt
Beweglichkeit ein, führt zu Zittern von Armen und Beinen.

Unfallchirurg und Sportmediziner Professor Walter Wagner, seit 1977
Ringarzt im Boxen, sagt: «Durch Box-Training können
Parkinson-Patienten gezielt Koordination, Schnellkraft, Ausdauer und
Kondition trainieren. Das hilft ihnen, die Herausforderungen der
Krankheit anzunehmen.» Warum nicht Radfahren, Laufen oder Schwimmen?
Wagner: «Boxen ist die wohl universellste aller Sportarten.»

Dabei geht es nur ums Training, also Schattenboxen, Pratzenarbeit,
Schläge am Boxsack. Es geht nie um Kämpfe gegeneinander. Die Frauen
in der Hamburger Gruppe, 43 bis 72 Jahre alt, sind angetan von den
Übungen. «Sie kommen zu mir und sagen: Nach dem Training fühlen wir
uns viel besser», erzählt Kisikyol. «Das macht mich stolz. Gerade
weil das ein neues Gebiet für mich ist.» Die Frauen lieben sie
geradezu. Ihren 30. Geburtstag im Februar hat die ansteckend
fröhliche Sportlerin mit der Gruppe in der Boxhalle gefeiert.

Kursteilnehmerin Ute Stender-Killguß ist begeistert. «Das sind andere
Bewegungsabläufe, viel anspruchsvoller als Krankengymnastik und
Rehasport. Es macht mir Spaß, Kraft in Übungen reinzulegen», sagt die

71-Jährige. «Ich merke, es bringt mir körperlich viel mehr. Ich habe

Ansätze des typischen Parkinsongangs. Wenn ich nach dem Box-Training
nach Hause gehe, denke ich: Mensch, du bist doch kerngesund.»

Früher hatte Boxen einen hohen Igitt-Faktor bei den Kurs-Frauen. Kam
Faustkampf im TV, nahmen sie Reißaus. «Wenn Dilar boxt, stehen wir
auf der Matte», schwört Stender-Killguß heute. «Wir haben uns schon

Youtube-Videos von ihr im Ring angesehen.»

Landestrainer Christian Morales, der Kisikyol auf einen WM-Kampf
vorbereitet, ist beeindruckt von seinem Schützling. «Dilar ist ein
toller Mensch. Wie sie mit den Frauen arbeitet - einfach fantastisch.
Dieses Einfühlsame, auf jede Frau nach deren Möglichkeiten
einzugehen, ist umwerfend», sagt er und lobt zugleich ihr Können als
Profiboxerin: «Technisch ist sie mit das Beste, was wir in
Deutschland haben.»

Die in Leverkusen geborene Tochter kurdischer Eltern leitet das
Parkinson-Projekt ehrenamtlich, genauso wie die Arbeit mit einem
Jungen mit Downsyndrom. Die Frauen- und Inklusionsbeauftragte des
Hamburger Boxverbandes hat einen Motor, der heißt Leidenschaft.
Während andere die Aussicht auf Karriere und höhere Gehaltsstufen
antreibt, reicht bei Kisikyol Begeisterung.

«Ich brenne für das Boxen. Das war Liebe auf den ersten Blick»,
schwärmt sie. «Als Kind hat mich meine Mutter zu Klavierstunden
geschickt. Ich habe Fußball und Basketball probiert. Ich war ein
bisschen tollpatschig, konnte mich für nichts richtig begeistern.
Später wollte ich Polizistin werden, das hat nicht geklappt.» Boxen
aber hat sie immer fasziniert. Eine Ursache dafür vermutet sie in
ihrer Säuglingsphase. Zur Welt kam sie als Drilling mit nur 1500
Gramm, war damit die Leichteste im Trio und am stärksten gefordert.
«Mein Leben», sagt sie, «hat mit einem Kampf begonnen.»

Kisikyol will ihr soziales Engagement ausweiten. Sie möchte an
Schulen Kurse für Inklusion und Gewaltprävention etablieren. Kontakt
mit der Schulbehörde gab es bereits. Für ihr Projekt «Du kämpfst»

reichen die finanziellen Mittel nicht. «Ich suche Förderer», sagt
sie. Und auch: «Derzeit lebe ich von Ersparnissen.» Als
Sozialpädagogin ist sie selbstständig. Im Profiboxen gibt es nicht
mehr wie zu Zeiten Regina Halmichs die großen Gagen. Dennoch: Sie
jammert nicht, stöhnt nicht. «Boxen», meint sie, «ist wie das Leben
:
kämpfen, durchbeißen. Niederlagen sind nicht das Ende des Lebens.»

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