Pflege-Debatte: Uniklinik-Chef kritisiert geringe Berufsperspektiven Von Ulli Brünger, dpa

Essens Uniklinik-Direktor Werner kritisiert die geringen
Aufstiegschancen in Pflegeberufen. Neben der hohen Arbeitsbelastung
sei dies ein weiterer Grund, dass der Beruf für junge Leute oft
unattraktiv sei. Und er macht Verbesserungsvorschläge.

Essen (dpa/lnw) - Neben der hohen Arbeitsbelastung sieht der Direktor
des Universitätsklinikums Essen mangelnde Aufstiegschancen und zu
wenig Qualifizierungsangebote als Ursachen für den Pflegenotstand in
Deutschland. «Die Perspektive für die Pflegekräfte ist von zentraler

Bedeutung für die Zukunft dieses Berufs», sagte Professor Jochen A.
Werner der Deutschen Presse-Agentur. «Wir haben uns zu wenig
gekümmert um eine lebenslange Planung. Pflegekräfte verlassen
eindeutig zu früh ihren Beruf, um eine andere Tätigkeit auszuüben»,

stellte der Mediziner fest. «Personalentwicklung und
Aufstiegsmöglichkeiten kommen daher höchste Bedeutung zu.»

Das Problem betreffe vor allem Frauen, die in der Pflege weit
häufiger arbeiten als Männer. Der 63-jährige Mediziner betonte, dass

Ärzte und Ärztinnen an Krankenhäusern vergleichsweise viel bessere
Karriere-Möglichkeiten hätten. «Da ist es anders: Assistenzärztin,

Stationsärztin, Funktionsoberärztin, Oberärztin, Leitende Oberärzti
n,
Chefärztin. Das ist geregelt, aber in der Pflege gibt es das nicht.»

Werner machte das Problem an einem Beispiel deutlich: «Wie ist es im
Moment? Da ist eine 18-jährige Person, Mann oder Frau, die bis 65
oder 70 arbeiten soll. Mit Erreichen des 30. Lebensjahres sind viele
Pflegekräfte dann am Ende ihrer beruflichen Entwicklung», kritisierte
er. Die Aufstiegschancen seien «sehr, sehr begrenzt».

Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, plädiert Werner für «eine
stärkere Personalentwicklung, angepasst an unterschiedliche
Lebensphasen und gesundheitliche Aspekte». So könnten Pflegende gut
als Lehrkräfte für den Unterricht von Krankenschwestern und Pflegern
weiterqualifiziert und eingesetzt werden, wenn sie körperlich oder
seelisch in der Pflege selbst nicht mehr arbeiten könnten.

Laut einer im März 2022 von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef
Laumann (CDU) vorgestellten Studie liegt die mittlere Verweildauer
von Gesundheits- und Krankenpflegenden in NRW bei etwa 18 Jahren, in
der Altenpflege bei 13 Jahren. «Alarmierend» ist für Laumann, dass
nur etwa 50 Prozent der befragten Pflegekräfte tendenziell zufrieden
oder sehr zufrieden in ihrem Beruf waren.

Etwa die Hälfte gab an, dass sich die Wertschätzung ihrer Arbeit
durch die Arbeitgeber im Laufe der Berufsjahre verschlechtert habe.
Zwei Drittel nahmen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
wahr. Laumanns Schluss: «Gute Arbeitsbedingungen sind nicht nur ein
Zeichen der Wertschätzung für die geleistete Arbeit, sondern für alle

Beteiligten eine Motivation, auch weiterhin in dem Tätigkeitsfeld zu
arbeiten.»

Fern ab jeglicher Realität sei der Glaube, dass Frauen beispielsweise
nach der Geburt ihrer Kinder zurückfinden in den Pflegeberuf, sagte
Werner: «Es gibt ja die Idee, dass 300 000 bis 600 000 ehemalige
Pflegekräfte aus ihrem anderen Leben in die Krankenhäuser
zurückströmen, dass sie zurückkommen in den Schichtbetrieb eines
Krankenhauses.» Das aber werde sicher nicht passieren, meint der
Klinikchef. «Was wir brauchen, ist eine stärkere Durchlässigkeit
verschiedenen Berufsbilder, die geplant auch spätere Wiedereinstiege
vorsehen.» Es sei sehr wichtig, dass «wir die Kräfte, die wir haben,

im Beruf halten. Und denen müssen wir Weiterbildung ermöglichen.»

In Essen habe man mit der FOM-Hochschule, einer staatlich anerkannten
privaten Hochschule für gesundheitswissenschaftliche Studiengänge für

Berufstätige und Auszubildende, einen Studiengang «Pflege und
Digitalisierung» entwickelt. «Wir müssen weitere Spezialisierungen
anbieten, sonst verlassen die Pflegekräfte den Beruf.» Auch der
seelischen Gesundheit Pflegender müsse mehr Beachtung geschenkt
werden. «Wer immer mit Leid zu tun hat, der muss es auch verarbeiten
können. Und das gelingt nicht zwischen zwei Schichten», so Werner.

Ende 2020 arbeiteten in Deutschland nach Angaben des Statistischen
Bundesamts (Destatis) knapp 486 100 Beschäftigte im Pflegedienst der
Krankenhäuser. Etwas weniger als ein Viertel davon (113 326) war in
NRW tätig. Seit Jahren steigt laut den Statistikern der Bedarf an
Arbeitskräften in der Pflege stetig, doch der Markt ist leer gefegt.