Kasse zahle nun Trisomie-Test bei Schwangeren - Diskussion dauert an Von Josefine Kaukemüller, dpa

Nach jahrelangen Beratungen und vielen Diskussionen ist es ab Freitag
soweit: Krankenkassen zahlen zum Teil vorgeburtliche Bluttests auf
Trisomien. Was zu diesem Beschluss führte - und warum er Verbänden
und Medizinern noch immer Kopfzerbrechen bereitet.

Berlin (dpa) - Für viele werdende Eltern ist die Gesundheit des Babys
das Allerwichtigste - und entsprechend groß das Bangen in der
Schwangerschaft. Bluttests, die Kenntnis über gewisse Erbgutfehler
beim Baby versprechen, werden ab Freitag (1. Juli) in bestimmten
Fällen von den Kassen bezahlt. Was für viele wie ein Gewinn wirken
dürfte, lässt Behindertenverbände, viele Kirchen und Ärzte allerdin
gs
Alarm schlagen: Seit Jahren wird das Thema teils hitzig diskutiert.
Noch immer sehen Fachleute gehäufte Bluttests auf Trisomie 21 als
schmalen Grat - und nicht selten als ethischen Fallstrick.

Sogenannte nicht-invasive Pränataltests (NIPT) stehen Frauen schon
seit 2012 zur Verfügung, allerdings müssen sie bislang in der Regel
selbst bezahlt werden, was teuer werden kann. Beim Test wird eine
Blutprobe der werdenden Mutter auf bestimmte Erbgutfehler des Fötus
untersucht: etwa auf eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), bei der das
Chromosom 21 dreifach vorhanden ist und die mit unterschiedlich
ausgeprägten körperlichen und geistigen Auffälligkeiten einhergeht.

Ist das Testergebnis negativ, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen werden, dass das Ungeborene Trisomie 21 hat. Ist es
hingegen auffällig, muss ein weiterer Eingriff folgen, um eine
sichere Diagnose zu stellen - etwa eine Fruchtwasseruntersuchung, die
mit einem geringen Risiko für eine Fehlgeburt einhergeht.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium, das Ärzte,
Krankenkassen und Kliniken zusammenbringt, hatte schon 2019
grundlegend entschieden, dass der NIPT auf die Trisomien 21, 13 sowie
18 in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung unter
Verwendung einer Versicherteninformation Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) werden soll. Ein Argument: Der Bluttest sei
im Gegensatz zu älteren Methoden ohne Risiko für Mutter und Kind.

Vor einem «großen Selektieren» warnt nun der Allgemeine
Behindertenverband in Deutschland (ABiD). Sozialberater Dennis Riehle
sagte kürzlich, er denke, es sei «mit den geltenden Sozialgesetzen
nicht vereinbar, wenn die Krankenversicherung künftig den Bluttest
auf Trisomie 21 finanzieren soll». Durch den Vorstoß steige der
Anreiz zur standardmäßigen Durchführung der Gendiagnostik - ein
Trend, der verhindert werden müsse.

«Die utopische Ideologie des idealen Menschen fände weitere Anhänger.

Wir dürfen keine Selektion zulassen, sondern müssen den Schutz jedes
Einzelnen in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stellen»,
sagte Riehle. Letztlich sei aller Anreiz, über eine Behinderung wie
das Down-Syndrom beim heranwachsenden Baby Kenntnis zu erhalten,
«eine potenzielle Entscheidungshilfe, sich einseitig und unkritisch
gegen das Kind zu positionieren».

Thomas von Ostrowski, Vorstandsmitglied des Berufsverbands
niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP), sieht vor allem ein
Problem in der unklaren Festlegung, für wen die Tests bezahlt werden
sollen. Im Gespräch mit der dpa mahnt auch er: «Unter keinen
Umständen darf der NIPT als Reihenuntersuchung auf Trisomie 21
verstanden werden.» Dies könnte aus seiner Sicht angesichts der
unklaren Vorgaben aber passieren. Der G-BA-Beschluss sieht vor, dass
die neue GKV-Leistung greift, wenn sich aus anderen Untersuchungen
ein Hinweis auf eine Trisomie ergeben hat - oder wenn eine Frau mit
ihrer Ärztin oder ihrem Arzt zu der Überzeugung kommt, dass der Test
in ihrer persönlichen Situation notwendig ist.

Angelika Wolff, Expertin für Schwangeren- und
Schwangerschaftskonfliktberatung der Diakonie Deutschland, sagt auf
Anfrage: «Wir erwarten, dass es durchaus weit verbreitet werden
könnte, den NIPT durchzuführen.» Die Regelung beziehe sich auf
Kostenübernahme bei «Risikoschwangerschaften» - das sei aber kein
klar definierter Begriff.

Leicht gemacht habe der G-BA es sich mit der Entscheidung zu keinem
Zeitpunkt, betont eine Ausschuss-Sprecherin. Neben dem Hauptargument,
dass der Test eine sichere Alternative zu den invasiven
Untersuchungen sei, spiele auch eine Rolle, dass mit Einschluss des
Bluttests in die GKV-Versorgung ein Ungleichgewicht beendet werde.
Bislang sei es Frage der finanziellen Mittel gewesen, ob Frauen den
Test nutzen konnten oder auf invasive Verfahren angewiesen waren.

Experten sehen vor allem in der Kommunikation und Information den
Schlüssel - und auch die größte Schwierigkeit. Die G-BA-Sprecherin
verweist auf die Versichertenbroschüre, die beim Beratungsgespräch
verpflichtend mit einzubeziehen sei. Diese beschreibe, welche
Aussagen mit dem Bluttest möglich seien und welche nicht und wie
zuverlässig die Testergebnisse seien. Zudem müsse ein auffälliges
Ergebnis zunächst weiter abgeklärt werden.

Von Ostrowski sagt: «Zentrale Herausforderung wird das Gespräch mit
der Schwangeren sein, um dieser eine selbstbestimmte Entscheidung zu
ermöglichen.» Die Versicherteninformation ist aus seiner Sicht aber
widersprüchlich und lässt Fragen offen. Ärztinnen und Ärzten oblieg
e
nun eine enorme Verantwortung. Wolff von der Diakonie hebt zudem die
große Bedeutung psychosozialer Beratung bei schwierigen
Entscheidungsprozessen hervor - und sieht einen verstärkten Bedarf
zur vernetzten Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen.

Doch mit der Neuregelung kommt auch auf werdende Mütter (und Väter)
und die ganze Gesellschaft einiges zu. BVNP-Vorstand von Ostrowksi
ist sicher: «Die Erweiterung der NIPTs als Kassenleistung wird
gesellschaftlich noch weiter zur Polarisierung beitragen.»

Riehle sieht in der Neuregelung sogar eine «gesellschaftliche
Sprengwirkung». Er hält jedoch den Schwerpunkt der gesellschaftlichen
Diskussion für falsch gesetzt: Anstelle einer Debatte über die
Pränataldiagnostik müsse eine Debatte über das Bild von Behinderung
stehen. «Die Anerkennung von uneingeschränkter Würde jeder Person zu

praktizieren, das bleibt Aufgabe von uns allen.» Auch Wolff von der
Diakonie betont: Ziel müsse sein, alle Kinder, auch jene mit einer
Trisomie, gut aufwachsen lassen zu können. «Hier sind noch viele
Schritte hin zu einer inklusiveren Gesellschaft notwendig.»

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