Superfoods - Über Gesundheitsversprechen und -risiken Von Gisela Gross, dpa

Fitter und gesünder mit Pulver aus exotischen Wurzeln, Smoothies aus
Beeren oder Algen-Riegeln: Sogenannte Superfoods werden mit allerlei
Vorzügen im Vergleich zu konventionellen Lebensmitteln beworben.
«Gesund oder riskant?», fragt eine Fachveranstaltung.

Berlin (dpa) - Besser sehen, Schmerzen und Stress verringern, die
Gehirnfunktion steigern. Daneben ist die Rede von einer
Anti-HIV-Wirkung, dem Lindern von Diabetes und dem Tod von
Krebszellen. Und um ein Aphrodisiakum für Frauen handelt es sich
angeblich auch noch. All das - und noch viel mehr - in einem Produkt!

Angeblich jedenfalls. Wer im Internet nach sogenannten Superfoods
sucht, der kann auf Angaben wie diese über einen Tee stoßen. Ein paar

Klicks weiter: Ein Online-Shop mit Sitz in Dubai preist 250 Gramm
leuchtend grünes Gerstengraspulver für knapp 26 Euro an, das «mit der

Blume des Lebens energetisiert» worden sei. Was das bedeuten soll,
wird nicht weiter erläutert.

Superfoods - was ist das überhaupt? Seit einigen Jahren werden
verschiedenste Produkte so bezeichnet, nicht selten verbunden mit
angeblich besonders guten Eigenschaften. Und tatsächlich sieht laut
einer Umfrage rund jeder Zweite in Deutschland sie als Teil
gesundheitsbewusster Ernährung. Selten geht es um frische Ware, oft
handelt es sich um Pulver, Konzentrate oder andere haltbare Produkte.

Immer wieder wird auch Kritik laut. Das spiegelt sich im Titel einer
Veranstaltung wider, bei der sich Fachleute in dieser Woche (30.
Juni/1. Juli) in Berlin austauschen: «Super(?)foods und
Nahrungsergänzungsmittel - riskant oder gesund?» Geladen haben das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und das
Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

Vorweg: Die eine klare Antwort auf die aufgeworfene Frage scheint es
nicht zu geben. Ob Superfoods gesund oder sogar empfehlenswert sind,
hängt vom einzelnen Produkt ab. Manche Fachleute, die in Berlin
referieren werden, rufen aber in Gesprächen vorab zu einem kritischen
Blick auf. Bereits Ende 2020 hatte das BfR von einer für die
gesundheitliche Bewertung oft nicht hinreichenden Untersuchung von
Superfoods gesprochen.

Ein «reiner Marketingbegriff»

Der Lebensmittelverband Deutschland stellt auf Anfrage klar:
Superfood sei weder ein rechtlich definierter Begriff, noch umfasse
diese Bezeichnung Aussagen zur Gesundheitswirkung von Lebensmitteln.
«Es ist ein reiner Marketingbegriff.» Unabhängig davon müssten
Superfoods dieselben rechtlichen Rahmenbedingungen und Qualitäts- und
Sicherheitsstandards wie andere Lebensmittel auch erfüllen. «Egal ob
Apfel, Joghurt oder Chia-Samen - alle Lebensmittel müssen sicher
sein, ansonsten dürfen sie nicht vermarktet werden», hieß es.

Peter Nick, Zellbiologie-Professor am Karlsruhe Institut für
Technologie (KIT), ist bei Untersuchungen allerdings auf Produkte
gestoßen, die er nicht für sicher hält, wie er sagte. Mit seinem
Vortrag in Berlin wolle er den Handlungsbedarf klar machen.
«Superfoods kommen in der Regel aus relativ exotischem Umfeld, wo sie
in ein traditionelles Ernährungssystem eingebunden sind, teils auch
in ein Heilsystem wie Ayurveda oder Traditionelle Chinesische
Medizin.» Mit dem Export aus der Nische auf einen globalen Markt
falle viel Wissen etwa zu Botanik und Dosierung weg - da fingen die
Probleme an.

Echtheitscheck mit genetischem Fingerabdruck

Teils reichten die Mengen nur regional angebauter Pflanzen nicht für
die Nachfrage in Industrieländern wie Deutschland und den USA aus,
schildert Nick. Das könne zu (Ver-)Fälschungen führen: billigere
Ware, vertrieben unter dem Namen des echten Produkts. Unter dem
Begriff Chia werden dem Wissenschaftler zufolge mindestens acht
verschiedene Arten ölhaltiger Samen gehandelt. Ursprünglich in Mexiko
angebaut, seien im Zuge des Hypes der vergangenen Jahre Produzenten
in anderen Ländern aufgesprungen. Für den Endverbraucher sei dies
nicht zu durchschauen.

«Firmen und Verbraucher sollten skeptischer sein, Importeure ihre
Rohmaterialien prüfen», sagte Nick. Für traditionell gebräuchliche

Produkte gebe es oft umgangssprachliche Bezeichnungen, aber keine
einheitlichen wissenschaftlichen Namen, was Verwirrung stiften könne.
Um dies aufzulösen, arbeitet Nicks Team ähnlich wie die Polizei auf
Verbrechersuche: Die Forscher lesen den genetischen Fingerabdruck von
Pflanzen aus und gleichen das Ergebnis mit Datenbanken ab. Solche
Analysen sollten Nick zufolge Teil der Qualitätssicherung sein.

Denn dem KIT-Experten zufolge können Verwechslungen gesundheitlich
riskant sein. Bei Untersuchungen von Chia-Smoothies etwa habe sein
Team Basilikum- statt Chiasamen gefunden. «Wegen hohen Gehalten eines
toxischen Stoffs darf so etwas eigentlich nicht vorkommen», sagte der
Professor. Auch bei den sich ständig ändernden Tee-Trends sieht er
Gefahren. Eine Sorte, die vor Jahren als sehr gesund beworben worden
sei, habe laut Analysen oft gar nicht die angebliche Wundersubstanz
enthalten, die auf der Packung stand. In einem Produkt fand sich kein
harmloser Ersatz, sondern Nelkenblätter, die für Schwangere kritisch
sein könnten. «So etwas darf einfach nicht sein», sagte Nick.

Der Hype beginnt oft im Internet

Abgesehen von solchen Risiken beschreiben Experten auch Probleme beim
Durchsetzen des geltenden Rechts, wenn es um Produktversprechen geht.
Zwar regelt laut Lebensmittelverband in Europa eine Verordnung,
welche gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben nach Überprüfung
der Studienlage und nach Zulassung durch den Gesetzgeber verwendet
werden dürfen.

Trotzdem finden sich im Internet Texte wie der eingangs beschriebene.
Julia Sausmikat, die sich bei der Verbraucherzentrale NRW mit dem
Thema beschäftigt, spricht von fehlender Handhabe gegen unzulässige
Gesundheitsversprechen im Internet, es sei quasi ein
rechtsdurchsetzungsfreier Raum. Lebensmittelüberwachungsbehörden
seien überlastet. «Es ist nahezu utopisch, das alles kontrollieren zu
wollen.» Viele Anbieter hätten ihren Sitz außerhalb Europas, so dass

deutsche Behörden rechtlich gesehen zahnlos seien.

Firmen setzten beim Vermarkten von Superfoods und
Nahrungsergänzungsmitteln zunehmend auf Influencer. Diese könnten auf
einen Schlag Zehntausende erreichen. «Wenn ein Produkt im Supermarkt
steht, ist der Trend eigentlich schon durch. Der Hype passiert
vorher», sagte Sausmikat.

Der Ernährungswissenschaftlerin zufolge kann in unseren Zeiten der
Selbstoptimierung und des gestiegenen Gesundheitsbewusstseins auch
ein an sich banales Produkt wie Salz zum Superfood werden: unter
anderem mit dem richtigen Marketing, das oft etwa einen Bezug zu
alter Heilkunst oder indigenen Völkern herstelle. «Damit werden
Emotionen bedient, oft wird auch Nachhaltigkeit suggeriert. Dabei
kann das oft schon durch die Transportwege gar nicht zutreffen.»

Das Auge isst mit

Bedient werde mit Superfoods offenbar das Bedürfnis von Menschen in
Industrienationen, sich im Alltag etwas Gutes tun zu wollen, sagte
Sausmikat. «Das könnte auch mit einem Pfefferminztee gelingen, aber
es muss heutzutage der Gerstengrassaft sein.» Bei Produkten wie
diesem beobachtet sie, dass die Optik immer mehr ein Kriterium ist:
Der Saft ist leuchtend grün - und damit ein Hingucker, etwa auf der
Foto-Plattform Instagram. Ein Anbieter wirbt im Internet, dass sich
mit dem Pulver das Essen farblich auf Zimmerpflanzen abstimmen lasse.

Auch Corona-Kilos lassen sich Sausmikat zufolge wohl kaum allein mit
Drinks aus vermeintlichem Wunderpulver schmelzen: Einzelne Superfoods
könnten ein ansonsten ungünstiges Muster aus Ernährung und Lebensstil

nicht wettmachen. Verbraucherzentralen seien nicht generell gegen
Superfoods, stellt die Expertin aber auch klar: «Es ist ja die Frage,
was das überhaupt ist. Wenn man heimische, unverarbeitete Produkte
meint, ist nichts einzuwenden. Aber mit vielen anderen Produkten wird
Verbrauchern das Geld aus der Tasche gezogen.»

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin hatte schon voriges
Jahr betont, dass heimische Lebensmittel weit gereisten Superfoods
wie Chia, Açai oder Matcha in Hinblick auf den Gesundheitswert
ebenbürtig seien. «Aus hygienischer, sozialer und ökologischer Sicht

sind sie den Exoten sogar überlegen», hieß es.