«Ein großartiger Tag»: Ampel schafft Abtreibungsparagraf 219a ab Von Fatima Abbas, dpa

Die einen haben gejubelt, die anderen frustriert auf ihren Plätzen
gesessen: Das Parlament hat an diesem Freitag mit deutlicher Mehrheit
das sogenannte Werbeverbot für Abtreibung aufgehoben. Fast zeitgleich
ergeht in den USA ein völlig entgegengesetztes Urteil.

Berlin (dpa) - «Werbung» für Abtreibung - schon der Begriff sorgt bei

vielen für Irritationen. Was soll das heißen? Ärzte, die Frauen mit
Werbesprüchen dazu verleiten wollen, abzutreiben? «Absurd und aus der
Zeit gefallen», sagt der liberale Bundesjustizminister Marco
Buschmann über diese Gedanken - über das, was der Paragraf 219a für
Ärztinnen und Ärzten in Deutschland seit seinem Inkrafttreten im Jahr
1933 bedeutet. Geldstrafen und Freiheitsstrafen von bis zu zwei
Jahren sieht der 219a bislang vor, für jene, die öffentlich für
Schwangerschaftsabbrüche werben. Also auch für Mediziner, die
möglicherweise nur sachliche Informationen über den Eingriff auf ihre
Webseite stellen wollen. Bis wohin reicht die Information - und wo
beginnt die Werbung? Darüber gibt es seit Jahrzehnten Streit.

Auch im Bundestag geht es an diesem Freitag heftig zur Sache. SPD,
Grüne, FDP und die Linke scheinen in ihrer Haltung wie von einem
eisernen Vorhang von Union und AfD getrennt. Um kurz nach halb 11
dann die historische Entscheidung: Der Paragraf 219a wird
abgeschafft. Das Parlament votiert mit großer Mehrheit für seine
Streichung aus dem Strafgesetzbuch. Schon bald wird es keinen
Paragrafen mit dem Titel «Werbung für den Abbruch der
Schwangerschaft» mehr geben.

Das komplette Kontrastprogramm fast zeitgleich in den USA: Dort kippt
der Oberste Gerichtshof an diesem Freitag mit einer wegweisenden
Entscheidung das liberale Abtreibungsrecht des Landes und macht damit
den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei - bis hin zu kompletten
Verboten in einzelnen US-Staaten. Eine dramatische Wende, von der am
Morgen im Bundestag noch niemand weiß.

Dort herrscht größtenteils Erleichterung über die Abschaffung des
219a und über weitere Details des Bundestagsbeschlusses: So sieht der
beispielsweise auch vor, dass Urteile gegen Ärztinnen und Ärzte, die
auf Basis von 219a seit Oktober 1990 ergangen sind, aufgehoben
werden. Die deutschlandweit bekannte Gießener Ärztin Kristina Hänel
sitzt im Moment, in dem all das zur Sprache kommt, auf der
Besuchertribüne. 2017 war sie erstmals verurteilt worden, weil sie
auf ihrer Webseite Informationen zu Abtreibungsmethoden anbot. Jetzt
lauscht sie mit Maske der Debatte, nickt ein paar Mal, als
Parlamentspräsidentin Bärbel Bas das Ergebnis verkündet. Ihre
Mitstreiterinnen sitzen um sie herum, lächeln sie an, drücken ihre
Hand. Auch wenn sie eine Maske trägt, ist zu spüren: Für Hänel ist
es
ein Moment der Genugtuung, ein Moment, auf den sie jahrelang
vergeblich gewartet hatte.

«Heute ist ein großartiger Tag», sagt die grüne Frauenministerin Li
sa
Paus. Auch sie ist berührt und begeistert, spricht von einem
«Triumph» für Frauen und Mediziner in Deutschland. Jetzt sei endlich

Schluss mit der Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten. Jetzt
könnten ungewollt Schwangere endlich barrierefrei Zugang zu den
Informationen erhalten, die sie brauchen. Und dann legt sie noch mit
einem Satz nach, der bei Union und AfD für besondere Empörung sorgt:
«Man muss auch über den Paragraf 218 reden.»

Was harmlos klingt, ist die Andeutung dessen, was die AfD als
«Dammbruch» bezeichnet. Was die Union, für die es ohnehin ein
schwarzer Tag ist, noch zusätzlich zur Weißglut bringt. Kann es etwa
sein, dass die Ampel im nächsten Schritt plant,
Schwangerschaftsabbrüche an sich zu legalisieren? Das würde eine
Abschaffung von Paragraf 218 bedeuten - Union und AfD schalten in den
Alarmmodus. Paus fügt hinzu: Nicht die Ampel-Koalition, sondern eine
extra dafür eingerichtete Kommission werde sich bald mit der Frage
befassen, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch
geregelt sein sollten. Was wiederum die Linke enttäuscht: Die wünscht
sich, dass Schwangerschaftsabbrüche so schnell wie möglich straffrei
werden. Auch der «Zwang», sich vor einem Abbruch beraten zu lassen,
ist der Fraktion ein Dorn im Auge.

Ganz anders die Stimmung auf der anderen Seite. Union und AfD betonen
das Recht des ungeborenen Lebens, das mit der Entscheidung zu 219a zu
kurz komme. Nun sei der Weg geebnet für jede Art von Werbung zu
Schwangerschaftsabbrüchen. Falsch, sagt Justizminister Marco
Buschmann. Irreführende Werbung bleibe weiterhin verboten, das sei
nun durch eine neue Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen im
Heilmittelwerbegesetz geregelt. Es gehe vor allem darum, das Recht
von Ärztinnen und Ärzten, über die Eingriffe zu informieren, zu
stärken und die Hürden für betroffene Frauen abzubauen. «Es ist
höchste Zeit, meine Damen und Herren», ruft Buschmann ins Plenum.
«Jede Verurteilung von Ärztinnen und Ärzten ist eine Verurteilung zu

viel.»

Für Kristina Hänel war jede Verurteilung bislang ein Ansporn, gegen
Paragraf 219a vorzugehen. An diesem Freitag hat sie den Prozess
gewonnen.