Druck aus den Ländern für neue Corona-Rechtsgrundlage zum Herbst

Die meisten staatlichen Alltagsauflagen zum Corona-Schutz sind
weggefallen. Doch Vorbereitungen für eine wohl weniger entspannte
Zeit nach dem Sommer laufen schon an. Das Tempo reicht nicht allen.

Berlin (dpa) - Aus den Ländern wächst der Druck auf den Bund, schnell
eine Rechtsgrundlage für weitergehende Schutzvorgaben bei einer neuen
Corona-Welle im Herbst zu schaffen. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen
und Nordrhein-Westfalen forderten vor zweitägigen Beratungen der
Gesundheitsminister ab diesem Mittwoch, noch vor der Sommerpause eine
Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorzulegen. Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) verwies auf ein mit den Ländern vereinbartes Vorgehen.
Vertreter von SPD und Grünen setzen auf vorbereitende Schritte in der
Ampel-Koalition. Die Infektionszahlen sind zuletzt wieder gestiegen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
sagte am Dienstag in Stuttgart, dass man den Instrumentenkasten voll
befülle, sei ein Gebot der praktischen Vernunft. «Die Feuerwehr
funktioniert ja auch nicht so, dass sie erst die Schläuche bestellt,
wenn sie die Größe des Brandes sieht.» Er plädiere seit Monaten
dafür, den Ländern die Möglichkeit zu weitgehenden Schutzmaßnahmen
zu
geben. Das habe die FDP im Bund verhindert. Die Minimalausstattung
müsse eine Maskenpflicht in Innenräumen, Kontaktbeschränkungen,
Personenobergrenzen für Veranstaltungen und Testpflichten umfassen.

Die zu Frühjahrsbeginn stark zurückgenommenen Corona-Bestimmungen im
Infektionsschutzgesetz laufen am 23. September aus. In der Koalition
lehnt die FDP schnelle neue Festlegungen ab. Zunächst soll ein bis
zum 30. Juni erwarteter Bericht eines Sachverständigenausschusses
abgewartet werden, der bisherige Pandemie-Maßnahmen bewerten soll.

Scholz sagte, mit den Ländern sei vereinbart, dass der Bund nach dem
30. Juni einen Aufschlag machen und dabei die Bewertungen der
Expertenkommission berücksichtigen werde. Über die Vorschläge werde
dann mit den Ländern diskutiert. Ungeachtet einzelner Forderungen
nach zügigerem Vorgehen werde nach dieser Vereinbarung gehandelt.
«Das wird ganz unaufgeregt laufen. Wir wollen auch so schnell fertig
sein, dass die Gesetze zum 23. September alle beschlossen sind.»

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat mit Blick auf eine wohl
angespanntere Lage im Herbst einen Sieben-Punkte-Plan angekündigt.
Dazu gehören eine erneute größere Impfkampagne, ein schnellerer
Einsatz von Medikamenten bei Erkrankten und präzisere Zuständigkeiten
für Corona-Schutz in Pflegeheimen. Der SPD-Politiker sagte, er gehe
davon aus, dass Bürgertests auch im Sommer weiter genutzt werden
könnten. Bisher ist das kostenlose Angebot bis Ende Juni geregelt.
Zum Infektionsschutzgesetz kündigte Lauterbach an, dass er mit
Justizminister Marco Buschmann (FDP) Eckpunkte vor der Sommerpause
anstrebt - sie könnten dann nach dem Sommer beschlossen werden.

Lauterbach sagte in der ARD: «Wir werden uns dann sehr schnell
einigen. Das Drama, auf welches jetzt alle warten, wird ausbleiben.»
Der Minister sagte weiter: «Und wir werden also für den Winter viel
besser gerüstet sein, als es der ein oder andere jetzt vermutet.»

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich machte deutlich, dass er neue
Auflagen für nötig hält. «Die Pandemie ist noch nicht vorbei», sa
gte
er in Berlin. «Dass Maßnahmen erforderlich sind, das sollte niemand
mehr in Frage stellen.» Mützenich zeigte sich «zuversichtlich», das
s
die Ampel die nötigen Schritte auf den Weg bringt. «Die Koalition ist
so intensiv mit diesen verschiedenen Fragen befasst, dass wir am Ende
zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen werden.» Die Überprüfung der

bisherigen Maßnahmen sei wichtig, «um die Maßnahmen nachzusteuern».


Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte: «Es ist sehr wichtig,

dass wir als Ampel übereingekommen sind, dass hier die Vorbereitungen
jetzt getroffen werden.» Sobald der Kommissionsbericht und weitere
Informationen vorlägen, könne die Koalition Eckpunkte präsentieren,
«in denen wir vorausschauend planen, was dann ab September, wenn das
Infektionsschutzgesetz ausläuft, zu tun ist». Eine Beschlussfassung
im Parlament werde dann spätestens Anfang September erfolgen. Der
Bundestag geht laut Sitzungskalender am 8. Juli in Sommerpause und
kommt in der Woche ab 5. September wieder zusammen.

AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla sagte in Berlin, die
Regierung bereite bei Corona «weitere Maßnahmen zur Gängelung der
Bürger vor». Die AfD werde diese ablehnen. Schutzmaßnahmen müssten

künftig der Eigenverantwortung der Bürger überlassen werden.

Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Sieben-Tage-Inzidenz am
Dienstag mit 458,5 an. Am Vortag hatte der Wert der Neuinfektionen
pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen bei 416,0 gelegen - nach 447,3
vor einer Woche und 342,0 vor einem Monat. Für den Herbst und Winter
befürchten Experten eine weitere Corona-Welle.