Corona-Tests: Untreue-Verdacht gegen Kassenärztliche Vereinigung

Dass bei Abrechnungen von Corona-Tests von Teststellen betrogen
wurde, ist jetzt klar. Kontrollen fanden kaum statt, die Betreiber
mussten nur eine Zahl von Tests angeben - und beim Staat kassieren.
Wie groß der Betrug war, kommt erst nach und nach raus.

Berlin (dpa/bb) - Im Zusammenhang mit gefälschten Abrechnungen in
Corona-Testzentren in Millionenhöhe ist der Vorstand der
Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin ins Visier der Polizei
geraten. Beim Landeskriminalamt (LKA) sei ein Verfahren wegen des
Verdachts der Untreue eingeleitet worden, teilte ein Sprecher der
Berliner Staatsanwaltschaft am Dienstag mit. Zuvor hatte «Spiegel TV»
darüber berichtet. Seitens der Staatsanwaltschaft stehe noch eine
Prüfung aus, ob tatsächlich ein konkreter Anfangsverdacht bestehe und
gegen wen sich dieser richte, so Sprecher Sebastian Büchner. Von der
KV hieß es, der Vorstand weise den Vorwurf «auf das Schärfste
zurück».

Die KV ist in der Corona-Pandemie auch für die Abrechnung der
Teststellen und Prüfung auf «Plausibilität und Auffälligkeiten»
zuständig. Rund 590 Millionen Euro zahlte die KV Berlin nach eigenen
Angaben bislang (Stand: 21. Juni) an Steuergeld aus. In der Prüfung
befände sich noch die Auszahlung weiterer 81 Millionen Euro.

Zu Spitzenzeiten gab es rund 1500 Corona-Teststellen in Berlin, die
laut Senat nur «sporadisch» kontrolliert wurden. Polizei und
Staatsanwaltschaft äußerten sich in dem «Spiegel»-Beitrag entsetzt

darüber, wie einfach die Behörden den Kriminellen den Betrug gemacht
hätten. Sie ermitteln bisher in rund 380 Verdachtsfällen gegen
Betreiber wegen Betrugsverdacht. Die angenommene Schadenssumme sollte
schon vor Monaten mindestens 24 Millionen Euro betragen, inzwischen
dürfte sie weitaus höher liegen.

Die zuständigen Ermittler vom LKA und der Staatsanwaltschaft sagten
dem «Spiegel», die Kassenärztliche Vereinigung habe der Polizei
keinerlei Verdachtsfälle übermittelt.

Die KV teilte hingegen mit, seit Beginn der Abrechnung im Frühjahr
2021 habe man «eng mit den Berliner Ermittlungsbehörden
zusammengearbeitet und alles dafür getan, beim Aufdecken von
betrügerischen Teststellenbetreibern zu unterstützen und Schaden
abzuwenden». Ein bestimmter Prozentsatz der ausgezahlten Summe für
die Tests bleibt als Gewinn bei der KV. Nach deren Angaben lag dieser
zunächst bei 3,5 Prozent, inzwischen liegt er laut KV bei 2,5
Prozent. Der sogenannte Verwaltungskostensatz sei unterschiedlich
berechnet worden, erklärte eine Sprecherin.

In ganz Deutschland wurden an die kommerziellen Betreiber der
Teststationen 10,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Ermittler gehen von
einer Betrugssumme von mindestens einer Milliarde bis hin zu 1,5
Milliarden Euro aus.

Auf die Spur kam die Berliner Kripo den Betrügern vor allem über
Geldwäsche-Anzeigen von Banken, denen plötzliche Zahlungen über
zehntausende oder hunderttausende Euro auf das Konto von
Kiosk-Betreibern auffielen.

Hauptkommissarin Susann Langner schildert in dem Film den Fall eines
polizeibekannten Verdächtigen, der seine kleinen Kioske als
Teststellen anmeldete und 800 bis 1000 Tests pro Tag in den winzigen
Läden angab. Bis zu 240 000 Euro habe der Mann pro Monat kassiert,
manche Monate seien doppelt abgerechnet worden. Die Betrugssumme
betrage mutmaßlich mehrere Millionen Euro, hohe Beträge seien oft
direkt ins Ausland überwiesen worden.

Ein anderer Betreiber rechnete laut Polizei in einem seiner Zentren
245 Tests an einem Tag ab, in seinem Computer fand die Polizei nur 4
Tests. Bei einem Verdächtigen geht die Polizei von 20 000 bis 30 000
zu viel abgerechneten Tests aus - pro Monat. Die KV zahlte 1,4
Millionen Euro an den Mann aus. Eine kleine Teststelle vergab viele
Gruppentermine. 60 Menschen sollen demnach zeitgleich um 9.00 Uhr
getestet worden sein, und schon um 9.02 Uhr soll die nächste Gruppe
von 60 Menschen gekommen sein. Kassiert wurden mehrere Millionen
Euro.

Jörg Engelhard vom Landeskriminalamt (LKA) sagte dem «Spiegel»: «Es

ist so ähnlich, als habe man eine Druckerpresse im Keller stehen, mit
der man das Geld selbst drucken kann.» Sein Kollege Jochen Sindberg
sagte in die Kamera: «Wir haben schon die Augen aufgerissen und
gesagt, wie ist es möglich, dass die Hürden so gering sind, um diese
Zahlungen zu erhalten.» Und Hauptkommissarin Langner meinte: «Wenn
ich sehe, wie das Geld rausgeworfen wurde und wie leicht es war zu
betrügen, finde ich das schon ziemlich bitter.»