Südwesten macht Druck auf Ampel: Maskenpflicht muss möglich sein Von Henning Otte, dpa

Die Corona-Lage sei unter Umständen auch im Herbst beherrschbar, sagt
der Gesundheitsminister in Stuttgart. Wenn die Politik rechtzeitig
mit Maskenpflicht und Co. reagieren kann. Dafür müsse die Ampel aber
schnell die Grundlagen schaffen - auch gegen den Willen der
Liberalen.

Stuttgart (dpa/lsw) - Baden-Württemberg dringt gemeinsam mit anderen
Bundesländern auf rasche Vorkehrungen für eine drohende Corona-Welle
im Herbst und fordert ein Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) im Streit mit der FDP. «Es muss ganz klar sein, dass wir uns
von der FDP nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen», sagte
Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur.
«Da muss jetzt auch mal ein bundespolitisches Machtwort gesprochen
werden.» Die Ampel müsse vor der Sommerpause eine Änderung des
Infektionsschutzgesetzes mit schärferen Schutzmaßnahmen vorlegen. SPD
und Grüne müssten sich gegen den Koalitionspartner durchsetzen. «Die

FDP ist bei der Pandemiebekämpfung nicht unser Maßstab, sondern der
verantwortungsvolle Umgang mit der Gesundheit der Menschen.»

Von Maske bis 2G: Länder wollen für neue Welle gewappnet sein

Lucha will gemeinsam mit den unionsgeführten Ländern Bayern, Hessen
und Nordrhein-Westfalen bei der Konferenz der Gesundheitsminister in
Magdeburg einen Beschluss herbeiführen, mit dem der Bund aufgefordert
wird, nun schnell Nägel mit Köpfen zu machen. Dies sei nötig, um auf

einen Anstieg der Infektionen im Herbst mit geeigneten Gegenmaßnahmen
reagieren zu können. «Dazu zählen insbesondere Maskenpflicht in
Innenräumen, 3G/2G-Zugangsregeln, Testpflichten, Personenobergrenzen
und Kontaktbeschränkungen», heißt es in dem Vorschlag der vier
Länder, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Kretschmann appelliert an die «praktische Vernunft» der FDP

Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne)
unterstützte Luchas Ansage an den Bund. «Dass man den
Instrumentenkasten voll befüllt, ist ein Gebot der praktischen
Vernunft», sagte er am Dienstag in Stuttgart. «Ich meine, die
Feuerwehr funktioniert ja auch nicht so, dass sie erst die Schläuche
bestellt, wenn sie die Größe des Brandes sieht.» Der Bund müsse sic
h
vor der Sommerpause mit den Ländern darüber einigen, welche Maßnahmen

möglich werden. «Ich möchte natürlich alles haben, auch die
Möglichkeit von Ausgangssperren», sagte Kretschmann. Es sei aber
absehbar, dass die Liberalen das nicht mitmachen würden.
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) wünscht sich, dass die
Ampel auch die Maskenpflicht in Schulen wieder zulässt. Wenn die
Testmöglichkeiten im September ausliefen, bleiben den Schulen quasi
keine weiteren Schutzmaßnahmen.

Lauterbach zeigt sich sicher: Koalitionsdrama wird ausbleiben

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) setzt allerdings auf
eine rasche Verständigung in der Ampel. Mit Blick auf das Ende Juni
erwartete Gutachten eines Sachverständigenrates zu den bisherigen
Vorkehrungen sagte er am Dienstag im ARD-«Morgenmagazin»: «Ich
glaube, wir werden einen guten Kommissionsbericht bekommen. Wir
werden uns dann sehr schnell einigen. Das Drama, auf welches jetzt
alle warten, wird ausbleiben.» Lauterbach sagte weiter: «Und wir
werden also für den Winter viel besser gerüstet sein, als es der ein
oder andere jetzt vermutet.» Jedoch sind erste Konflikte schon
absehbar. Zuletzt hatte sich FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann
skeptisch zur Wiedereinführung einer Maskenpflicht geäußert, wenn die

Corona-Infektionen weiter stark steigen.

Lucha und Kretschmann setzten auf präventive Maßnahmen

Lucha will gewappnet sein, um im Falle eines großen Ausbruchs nicht
große Teile des öffentlichen Lebens schließen zu müssen. «Wir wol
len
rechtzeitig reagieren können, um zu verhindern, dass es wieder zu
einem vollständigen Erliegen des wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen, kulturellen und vor allem schulischen Lebens
kommt. Das sind also rein präventive Maßnahmen.» Kretschmann
ergänzte, dass man momentan nicht erwartet, dass die Pandemie im
Herbst aus dem Ruder läuft. «Wir wollen da keine Unsicherheit oder
Panik erzeugen. Es ist absehbar nicht damit zu rechnen, dass wir zu
einer Überlastung des Gesundheitssystems kommen.» Es sei denn, es
träten neue Virus-Mutanten auf. «Davon gehen wir erstmal nicht aus.»


Der Minister sieht trotz steigender Inzidenzen noch keine
Sommer-Welle - anders als Lauterbach. «Wir haben ein erhöhtes
Infektionsgeschehen aufgrund der veränderten Virus-Varianten und weil
die Menschen wieder mobiler sind und mehr Kontakte haben.» Noch sei
das Gesundheitssystem aber nicht stärker belastet als in den
vergangenen Wochen. «Das Wort Welle würde ich jetzt noch nicht
benutzen», sagte der Landesminister. Wenn einzelne Ärzte vor einem
Gesundheitsnotstand im Herbst warnten, sei das übertrieben. «Unsere
Experten, mit denen wir dauerhaft im Gespräch sind, sagen: Wenn wir
das Richtige tun, können wir die Lage beherrschen.»

FDP: Lucha malt «Horrorgemälde»

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke hielt dem Grünen-Politiker
«Panikmache» bei der Verlängerung des Infektionsschutzgesetzes vor.
«Er muss sich halt damit abfinden, dass er in Berlin nichts zu melden
hat», sagte der Liberale. «Es war die FDP, die mit ihrer
Lageeinschätzung im April Recht behalten hat und dafür gesorgt hat,
dass Menschen ihre Freiheitsrechte zurückbekommen, weil es die
derzeitige Lage auch zulässt.» Rülke verwies darauf, dass es so gut
wie keine schweren Fälle mehr in den Kliniken gebe. «Luchas
Horrorgemälde waren Fake-News.»

Gratistests nur noch bei Besuch von Kliniken und Heimen

Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und NRW fordern neben den
Schutzmaßnahmen die Testverordnung über Ende Juni hinaus
«sachgerecht» zu verlängern. Lucha erklärte dazu: «Das anlasslose

Testen von Personen ohne Symptome ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht
richtig.» In dem Beschlussentwurf der Länder heißt es deswegen: «Es

bedarf auch weiterhin kostenfreier und unbürokratischer
Testmöglichkeiten, um insbesondere den Schutz im Umfeld von
Einrichtungen für vulnerable Personen und Gruppen sicherzustellen.»