Tor in die Vergangenheit: Wie Forscher uralte Gerüche rekonstruieren Von David Hutzler, dpa

Wie roch es in der Vergangenheit? Zu dieser spannenden Frage wird
europaweit geforscht. Jahrhundertealte Aromen und Düfte lassen sich
heute im Labor nachbauen - Ausgrabungen braucht es aber schon auch.

Jena (dpa) - Wer mit Archäologie nur alte Grabungsstätten und
spektakuläre Mumienfunde verbindet, dürfte beim Anblick von Barbara
Hubers Arbeitsplatz zunächst etwas ernüchtert sein: Ein Labor in
einem Jenaer Pharmaziekomplex, viele kleine Fläschchen, Zentrifugen,
ein paar größere Geräte und Monitore. Das einzige, was hier auf den
ersten Blick an Ausgrabungen und vergangene Kulturen erinnert, ist
eine kleine Tonscherbe - aber die hat es in sich.

Was mischten die alten Ägypter in ihr Parfüm? Wie roch es im Barock?
Und wurde in dem Gefäß, dessen Scherbe nun in Hubers Labor liegt,
Weihrauch verbrannt? Was die Wissenschaftlerin des
Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena interessiert,
hat sich in den vergangenen Jahren europaweit zu einem neuen
Forschungsstrang gemausert. Mit Hilfe neuer Technologien können
Chemiker und Archäologen die Aromen und Gerüche der Vergangenheit
nicht nur nachvollziehen - sondern auch wieder zum Leben erwecken.

Wie das gelingen kann, hat Huber gemeinsam mit Kolleginnen und
Kollegen jüngst im Fachjournal «Nature Human Behaviour»
veröffentlicht: Aus archäologischen Funden - wie etwa der Scherbe des
Weihrauchgefäßes - lassen sich Proben nehmen. Die kommen dann in
unterschiedliche Lösungsmittel, wodurch Biomoleküle der ehemaligen
Substanzen extrahiert werden können. Durch schnelles Drehen des
Probengemisches lassen sich dann etwa Tonreste der Scherbe von den
Biomolekülen der organischen Substanzen abtrennen. Übrig bleibt eine
Flüssigkeit, die mittels verschiedener Geräte weiter analysiert wird.

«Wir bekommen dann eine Komposition aller Moleküle - einen
sogenannten chemischen Fingerabdruck der ehemaligen Duftstoffe - und
können ermitteln, in welchen Substanzen diese Moleküle vorkommen»,
erklärt Huber. So ließe sich nicht nur nachvollziehen, ob in dem
Gefäß, aus dem die Scherbe stammt, wirklich Weihrauch verbrannt
wurde. Sondern es ließe sich auch eine Liste von Substanzen kreieren,
mit Hilfe derer ein solcher Geruch nachgebaut werden könnte.

So könnte man etwa auch die Zusammensetzung eines Parfüms aus dem
alten Ägypten rekonstruieren. Möglich sei, darüber etwa auch
Handelswege von altertümlichen Substanzen nachzuvollziehen, erklärt
Huber. Man könne etwa ermitteln, ob Aromen und Gewürze nur lokal
vorkamen, oder aus fremden Regionen importiert wurden.

Doch wie roch sie denn nun, die Vergangenheit? Auch um diese Frage zu
beantworten, haben sich Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher
Disziplinen aus ganz Europa zusammengetan. Im EU-geförderten Projekt
«Odeuropa» soll so etwas wie eine Enzyklopädie der Gerüche entstehe
n.
Ausgehend von Bildern, Texten und Objekten aus vier Jahrhunderten
wollen Wissenschaftler herausfinden, wie Geruch in verschiedenen
Sprachen ausgedrückt wurde und mit welchen Orten er in Verbindung
gebracht wurde.

In jahrhundertealten Bildern und Texten seien viele Hinweise auf
Produkte, Lebensmittel, Pflanzen und Szenarien enthalten, sagt Andrea
Büttner, die im deutschen Team von Odeuropa arbeitet und an der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg den Lehrstuhl für
Aroma- und Geruchsforschung innehat. «Und dann kann man schon
rekonstruieren, wie eine Situation an einem bestimmten Ort war, was
da gehandelt oder produziert wurde.» Die Inhalte könnten Forscher
beispielsweise in alten Rezepten nachforschen und dann im Labor
nachstellen.

Büttner zufolge haben sich die Geruchswelten über die Jahrhunderte an
vielen Stellen verändert. Stichwort Hygiene: «Es ändert die
Geruchswelt massiv, wenn man nicht mehr mit Tieren im selben Haus
lebt. Und es hat natürlich einen dramatischen Einfluss, ob man
Fäkalien vor der Haustüre hat oder nicht.» Besonders kurios muss es

zudem in Zeiten des Barocks gerochen haben, erzählt Huber: Es sei
sich zwar nicht gewaschen worden - Menschen, die es sich leisten
konnten, überdeckten ihren Eigengeruch jedoch mit Unmengen an Parfüm,
Schminke und Pasten.

Es seien aber auch viele natürliche Aromen über die Zeit verloren
gegangen, sagt Büttner. Dazugekommen seien viele industrielle
Gerüche. «Wenn jetzt ein Mensch von vor 500 Jahren durch eine
europäische Stadt laufen würde, mit dem ganzen Autoverkehr, könnte es

sehr gut sein, dass diese Person diese Gerüche gar nicht aushalten
kann.» Das sei alles eine Frage, woran man gewöhnt ist. «Gerade das
Riechen ist ein sehr tief verankerter Sinn was Lernprozesse und
Emotionen angeht» sagt Büttner.

Ein Beispiel für den Gewöhnungseffekt sei der Geruch von Leder,
erklärt Büttner, die auch geschäftsführende Institutsleiterin am
Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung ist.
Heutzutage könne problemfrei Leder ohne Gerbgeruch hergestellt
werden. «Tun wir aber nicht, weil die Menschen gelernt haben, dass
Leder nach Leder riecht, und weil sie das als Qualitätskriterium
wertschätzen.» Ähnlich verhalte es sich mit dem Neuwagengeruch in
Autos - was in Deutschland als Qualitätsmerkmal gelte, werde in China
etwa als schlechte Qualität geringschätzt. Was gut riecht und was
nicht sei auch eine kulturelle Frage.

Diesen Aspekt nennt auch Huber, für die Gerüche und Aromen ein «Tor
in die Vergangenheit» sind. Und das kann sogar ziemlich weit zurück
liegen: Das älteste Objekt, was sie untersucht habe, sei etwa 5000
Jahre alt gewesen, erzählt sie. Wichtig sei nicht das Alter - sondern
der Erhaltungszustand.

Dafür reist Huber immer wieder zu Museen und Ausgrabungsstätten, um
möglichst frische Proben zu sammeln. Besonders faszinierend sei für
sie ein Aufenthalt in einem ägyptischen Museum gewesen: «Als wir da
die 2500 Jahre alten Mumifizierungsgefäße geöffnet haben, ist einem
sofort dieser intensive Geruch in die Nase gegangen. Damit habe ich
nach so langer Zeit überhaupt nicht gerechnet.»