Debatte um weiteren Corona-Fahrplan - Inzidenzen «irrelevant»?

Die Corona-Infektionszahlen steigen. Doch wie soll die Politik darauf
reagieren? Das Gesundheitsministerium arbeitet schon an der nächsten
Impfkampagne. Andere sehen hingegen keinen Grund zur Panik. Und was
tun mit den derzeit wenig besuchten Impfzentren?

Berlin (dpa) - Nach dem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen ist
eine Kontroverse um die weitere Vorgehensweise im Sommer entfacht.
Während Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von einer
Sommerwelle spricht und mit wenig Entspannung in den kommenden Wochen
rechnet, halten manche Experten die Corona-Inzidenzen derzeit nicht
für relevant. Auch beim Erhalt der regionalen Impfzentren über den
Sommer gibt es unterschiedliche Meinungen.

«Wir können uns nicht noch mal einen Herbst leisten, wo wir so
vorbereitet sind wie im letzten Herbst», sagte Lauterbach am
Donnerstag bei der 17. Nationalen Branchenkonferenz
Gesundheitswirtschaft in Rostock. Zuvor äußerte sich der
SPD-Politiker bei RTL/ntv und sagte, dass es zwar keinen Grund zur
Panik gebe, allerdings würden nach steigenden Zahlen künftig auch die
der Todesfälle wieder zunehmen.

Das Gesundheitsministerium arbeitet deswegen an einer Impfkampagne
für die kommenden Monate. Es gebe einen engen Austausch mit den
Herstellerfirmen über neue Impfstoffe. «Wir erwarten diese Impfungen
Ende August, wahrscheinlich eher Mitte September», kündigte der
Minister an. Außerdem würden auch funktionierende Testkonzepte
benötigt. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen riet in der
«Rheinischen Post» (Donnerstag) dazu, die Empfehlungen zu
Boosterimpfungen zu überprüfen und gegebenenfalls auszuweiten.

Experte Klaus Stöhr, der Mitglied im Sachverständigenausschuss zur
wissenschaftlichen Beurteilung der staatlichen Corona-Beschränkungen
ist, sieht den gegenwärtigen Anstieg dagegen gelassen und sprach von
«irrelevanten Meldeinzidenzen». Man müsse auf die Entwicklung in den

Krankenhäusern achten, sagte er im ZDF-«Morgenmagazin». «Und da seh
en
wir eigentlich gar keine Zunahme. Ganz im Gegenteil. Die Situation
ist so entspannt, wie man es nur hoffen konnte für den Sommer. Und
daran wird sich auch nichts dramatisch ändern», meinte Stöhr.

Auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen,
sieht keinen Grund zur Panik. «Solange die Krankheitslast nicht
massiv steigt, interessieren mich die Infektionszahlen, die ohnehin
nicht korrekt erfasst sind, nicht so sehr», sagte Gassen der «Ärzte
Zeitung».

Auch der weitere Fahrplan um den Umgang mit den Corona-Impfzentren
stellt ein Diskussionsthema dar. Für ihren Erhalt über den Sommer
auch bei derzeit geringem Andrang plädiert der Patientenbeauftragte
der Bundesregierung, Stefan Schwartze. Jetzt alle Strukturen
zurückzufahren und im Herbst dann wieder neu zu starten, sei nicht
die richtige Lösung. «Ich mahne an jeder Stelle zur Vorsicht», sagte

Schwartze.

Der Deutsche Hausärzteverband hält das Offenhalten dagegen für
verzichtbar. «Die Impfzentren stehen deutschlandweit leer», sagte
Präsident Ulrich Weigeldt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland
(Donnerstag). «Weswegen sie jetzt den gesamten Sommer weiterbetrieben
werden sollen, erschließt sich überhaupt nicht.» Das koste viel Geld,

das woanders gebraucht werde. Die Hausärzte hätten bewiesen, dass
Impfungen in Praxen am besten aufgehoben seien.

Die Infektionen mit dem Coronavirus hatten in Deutschland zuletzt
wieder deutlich zugenommen. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die
bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Donnerstagmorgen mit 480,0 an
(Vorwoche: 276,9). Allerdings liefert die Inzidenz kein vollständiges
Bild der Infektionslage. Experten verweisen zur aktuellen Entwicklung
auf den ansteckenderen Untertyp BA.5 der Omikron-Virusvariante, der
zuletzt in Deutschland zulegte.