Wegen Extra-Steuer: E-Zigarettenbranche zieht vor Gericht Von Wolf von Dewitz, dpa

Fluch oder Segen? Die Meinungen über E-Zigaretten gehen auseinander.
Einerseits enthalten die Liquids Substanzen, die man besser nicht
inhalieren sollte. Andererseits ist der Schadstoffgehalt relativ
gering. Der Streit um eine Steuer landet nun vor Gericht.

Berlin/Karlsruhe (dpa) - Ein E-Zigaretten-Branchenbündnis zieht vor
das Bundesverfassungsgericht, um in den kommenden Jahren
Steuererhöhungen zu verhindern. «E-Zigaretten haben ein viel
geringeres Schadenspotenzial als Tabakzigaretten und werden nun
trotzdem steuerlich gleichgesetzt - das ist unverhältnismäßig und
falsch», sagte der Vorsitzende des «Bündnisses für Tabakfreien
Genuss», Dustin Dahlmann, der dpa. Eine entsprechende
Verfassungsbeschwerde habe man beim BVG eingereicht. Nun heißt es
abwarten: Womöglich erst 2023 werde das Gericht entscheiden, ob die
Beschwerde angenommen wird und es zur Verhandlung kommt, sagte er.

Stein des Anstoßes ist die 2021 beschlossene Tabaksteuerreform. Das
Gesetz, das das E-Zigaretten-Bündnis für verfassungswidrig hält,
sieht für gewöhnliche Glimmstängel eher moderate Steuererhöhungen
vor. Für elektronische Zigaretten geht es hingegen steil nach oben:
Bisher fiel beim Kauf der Flüssigkeiten (Liquids), die verdampft und
inhaliert werden, nur Mehrwertsteuer an. Nun kommt noch die
Tabaksteuer hinzu.

In mehreren Stufen steigt die Tabaksteuer an: Ab dem 1. Juli sind es
16 Cent pro Milliliter Liquid, bis 2026 erhöht sich die Steuer in
mehreren Schritten auf 32 Cent. Nach Berechnung des
Branchenbündnisses verteuert sich dadurch ein 10-Milliliter-Liquid
von den derzeit üblichen 4,95 Euro auf 8,76 Euro - dies ist inklusive
der Mehrwertsteuer und unter der Annahme, dass Hersteller und Händler
auf gleichbleibende Netto-Einkünfte setzen. Das wäre eine
steuerbedingte Preissteigerung von 77 Prozent.

So ein kräftiger Preisaufschlag könnte Kettenraucher vor dem Umstieg
auf das Dampfen abhalten, warnt Dahlmann. «Die gesundheitspolitische
Lenkungswirkung der Steuer ginge in die falsche Richtung: Die Raucher
blieben beim extrem schädlichen Tabak, anstatt auf die wesentlich
schadstoffärmeren Liquids zu wechseln.»

Zweiter Kritikpunkt des Branchenbündnisses ist die Tatsache, dass
nicht nur nikotinhaltige Liquids besteuert werden, sondern auch
nikotinfreie Versionen. Deren Bestandteile - etwa Lebensmittelaromen
und Flüssigkeiten wie Propylenglykol - könne man auch in Apotheken
und anderen Läden kaufen, ohne dass hierbei Tabaksteuer anfalle. «Die
E-Zigaretten-Nutzer könnten versucht sein, sich diese Bestandteile
billig zu kaufen und dann selbst zu mischen.» Das Mischen solcher
Haushaltsprodukte, die eigentlich nicht für die E-Zigarette gedacht
sind, sei zwar illegal, aber kaum zu kontrollieren, sagt Dahlmann.
«Die Steuer könnte zu einer Zunahme von illegalem Mischen führen.»


Mediziner blicken unterschiedlich auf das Thema. Unstrittig ist, dass
der Schadstoffgehalt deutlich niedriger ist als in der
Tabakzigarette. Laut einem Bericht der englischen Gesundheitsbehörde
PHE ist E-Zigarettendampf mindestens 95 Prozent weniger schädlich als
Tabakrauch. Allerdings gibt es noch keine Langzeitstudien über
mögliche Schäden - wie genau sich der vergleichsweise niedrige
Schadstoffgehalt auf die Gesundheit auswirkt, ist also noch unklar.

Das Deutsche Krebsforschungszentrum DKFZ betont, dass E-Zigaretten
keineswegs harmlos seien. So enthielten ihre Aerosole verschiedene
krebserregende Substanzen, heißt es in einer Ausarbeitung des DKFZ.
Es sei «biologisch plausibel, dass E-Zigarettenkonsum langfristig das
Krebsrisiko erhöhen» könnte. «Es ist jedoch unklar, ob die im Aeros
ol
vorliegenden Mengen an Kanzerogenen ausreichen, um tatsächlich Krebs
auszulösen.» Andere Mediziner betonen bei E-Zigaretten hingegen die
Vorteile, weil dadurch Kettenraucher umsteigen könnten auf ein
weniger schädliches Produkt.

Beim Thema Rauchen gab es zuletzt eine bedenkliche Entwicklung: Laut
einer regelmäßig durchgeführten Studie der Düsseldorfer
Heinrich-Heine-Universität stieg der Anteil der Jugendlichen und
Erwachsenen in Deutschland, die zur Tabakzigarette greifen, in
Pandemiezeiten deutlich auf 32,9 Prozent. Vor dem ersten Lockdown
2020 lag dieser Anteil noch bei 26,5 Prozent. Diese Entwicklung
könnte durch die Steuererhöhungen beschleunigt werden, warnt Dahlmann
- «weil Verbrauchern das Dampfen zu teuer wird und sie doch wieder
zum Tabak-Glimmstängel greifen».

Die Verfassungsbeschwerde hatte der Branchenvertreter schon vor einem
Jahr angekündigt, nach gründlicher juristischer Vorarbeit wurde das
Schreiben nun endlich eingereicht. Auf die Frage, wie er die Chancen
auf einen Erfolg vor Gericht einschätzt, verweist Dahlmann auf
Italien, wo das dortige Verfassungsgericht eine starke Steuererhöhung
auf E-Zigaretten vor einigen Jahren für verfassungswidrig erklärte.
«Wir sind guter Dinge, dass unsere Argumente auch von Deutschlands
Verfassungsgericht nachvollzogen werden können.»

Klar ist, dass das langwierige Gerichtsprozedere die für den 1. Juli
feststehende Steuererhöhung nicht mehr stoppen wird. Dahlmann hofft
aber darauf, dass das Gericht den Gesetzgeber zur Gesetzesänderung
auffordert und die weiteren Steuererhöhungsschritte schwächer
ausfallen als bisher vorgesehen oder sogar ganz wegfallen.

Im Bundestag, wo das Gesetz im vergangenen Jahr angenommen wurde,
löst die Haltung des Branchenbündnisses verschiedene Reaktionen aus.
Der Grüne Sascha Müller lässt Verständnis erkennen und sagt, dass d
ie
Besteuerung der Liquids «etwas zu hoch angesetzt» sei. In dem Gesetz
sollte sich stärker widerspiegeln, dass «die E-Zigaretten
erwiesenermaßen weniger schädlich sind als die klassischen
Tabak-Zigaretten». Ähnlich wie der Branchenvertreter Dahlmann
befürchtet der Abgeordnete, dass sich künftig mehr Konsumenten ihre
Liquids selber mischen. «Zu gegebener Zeit sollten wir prüfen, ob
gesetzgeberischer Nachbesserungsbedarf besteht», sagt Müller.

Der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi hält hingegen wenig von
den Argumenten der E-Zigaretten-Lobby. Ziel des Gesetzes sei es, «mit

klaren Preissignalen» die Menschen zu einem Leben ohne Rauchen oder
Dampfen zu motivieren. Auch die Prävention gegenüber Jugendlichen sei

wichtig - dass also ein hoher Preis junge Leute abschreckt. Mit Blick
auf die Verfassungsbeschwerde sagt der Sozialdemokrat: «Ich bin sehr
zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis
kommen wird, dass der Gesetzgeber hier eine sinnvolle und vertretbare
Abwägung vorgenommen hat.»