Schmerzmittelmissbrauch im Spitzensport: «Wie eine Schale Smarties» Von Jordan Raza, Andreas Schirmer und Mia Bucher, dpa

Eine Spritze hier, eine Tablette da: Viele Spitzensportler ballern
sich mit Schmerzmitteln wie Ibuprofen zu. Ein Ex-Fußballer berichtet
von schwerwiegenden Folgen. Dopingexperten und Mediziner warnen.

München (dpa) - Tennisprofi Rafael Nadal hätte ohne «einige
entzündungshemmende» Mittel in seinem Problemfuß nicht den
French-Open-Titel holen können. Fußballstar Zlatan Ibrahimovic
überstand einen Großteil der abgelaufenen Meistersaison des AC
Mailand mit kaputtem Kreuzband nur dank Schmerzmitteln. Liverpools
Thiago kickte nach einer schmerzlindernden Injektion mit taubem Fuß
im Finale der Champions-League. Funktioniert Spitzensport noch ohne
Schmerzmittel? Die Entwicklung ist alarmierend. Ärzte und
Dopingexperten warnen vor dramatischen gesundheitlichen Folgen und
fordern einen sensibleren Umgang mit Ibuprofen und Co. - an Besserung
glauben sie nicht.

Es geht um Pillen, die Fieber senken, Entzündungen hemmen oder
Schmerzen betäuben, sogenannte nichtsteroidale Anti-Rheumatika
(NSAR). Mittel, deren Wirkstoffe zu schwach sind, um auf der
Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zu landen und die
meist rezeptfrei zu bekommen sind. «Außer in Sondersituationen, wie
bei chronischen Schmerzen bei Nadal, werden die Mittel von Profis oft
prophylaktisch genommen. Das ist Missbrauch», sagte Sportmediziner
Wilhelm Bloch von der Deutschen Sporthochschule in Köln der Deutschen
Presse-Agentur. Der Experte schätzt, dass je nach Sportart und
Kategorie mittlerweile mehr als 50 Prozent der Teilnehmer regelmäßig
Schmerzmittel nehmen.

Der ehemalige Profi-Fußballer Ivan Klasnic ist einer der bekanntesten
Sport-Fälle beim Schmerzmittelkonsum und dessen Folgen. Er sei
«toxisch vergiftet» worden, erzählte der frühere Spieler von Werder

Bremen der dpa. «Weil ich Schmerzmittel bekommen habe, die ich nicht
bekommen durfte.» Die Medikamente hätten seine Nieren kaputt gemacht
und zu drei Nierentransplantationen geführt. Ein Rechtsstreit mit
seinen ehemaligen Medizinern endete 2020 mit einem Vergleich.

Neben Nieren- nennt Bloch vor allem «Leber- und Gefäßschäden» als

mögliche Folgen von Dauermedikation. «Und bei Ausdauersportlern wie
Marathonläufern, bei denen es im Magen-Darm-Trakt ohnehin häufiger zu
Mikroblutungen kommt, können nichtsteroidale Anti-Rheumatika die
Blutungen verstärken.» Zudem könnten die Mittel den Heilungsprozess
nach Verletzungen beeinflussen. «Regenerationsfähigkeit des Gewebes
ist mitunter eingeschränkt», erklärte Bloch.

Die Liste von Sportlern, die zu Schmerzmitteln greifen, lässt sich
hinter Nadal und Thiago beliebig fortführen. Fußball-Weltmeister Toni
Kroos offenbarte im vergangenen Jahr, verletzungsbedingt «sechs
Monate unter Schmerzmitteln» gespielt zu haben. Basketball-Legende
Dirk Nowitzki erklärte 2016 zwar, dass er sich keine Schmerztabletten
reinhauen müsse - «andere ältere Veteranen» hätten das jedoch
gemacht. Und der norwegische Ski-Star Henrik Kristoffersen, der 2015
einen Tag nach einem Sturz schon wieder die Piste hinabbrettern
konnte, berichtete damals: «Meine Hüfte ist ganz blau. Es tut weh.
Ich habe eine Schmerztablette genommen - hier bin ich.»

So sehe oft der Alltag im Leistungssport aus, sagte Bloch und
berichtete von Vereinen, in denen Schmerzmittel üblich seien. «Das
ist wie eine Schale Smarties, fast jeder greift zu.»

Eine Untersuchung der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) im
deutschen Profi-Fußball zeigte, dass zwischen den Spielzeiten 2015/16
und 2019/2020 im Durchschnitt jeder dritte Athlet im Männer- und
Frauenbereich vor Spielen Schmerzmittel zu sich nahm. Vor Partien im
DFB-Pokal liege die Männer-Quote sogar bei 40 Prozent. So hoch sei
auch der Anteil bei Frauen; laut Studie nahmen vier von zehn
Fußballerinnen Schmerzmittel. In den Junioren-Bundesligen seien es 14
Prozent. Am deutlich häufigsten sei Ibuprofen konsumiert worden.

Experten diskutieren immer wieder, ob Schmerzmittelmissbrauch Doping
ist. «Kritisch. Im Prinzip geht's um Leistungssteigerung», sagte
Bloch. «Bei hoher Belastung erreichen Sportler eine Schmerzgrenze.
Durch die Einnahme von Schmerzmitteln versuchen viele, diese Grenze
zu verschieben, um länger Leistung zu bringen», erklärte der Experte.


Warum also nicht die Substanzen auf die Doping-Liste setzen? «Das ist
ein hoffnungsloser Kampf. Beim Schmerzmittelthema ist man im Prinzip
machtlos», meinte Dopingexperte und Pharmakologe Fritz Sörgel. «Das
würde bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, wenn man keine
Schmerzmittel nehmen dürfte.»

Statt Verbote zu erteilen, versucht die Nada mit Athleten über die
Gründe und Auswirkungen von Schmerzmittelmissbrauch zu sprechen und
sinnvolle Alternativen aufzuzeigen. Neben verhaltenspräventiven
Maßnahmen brauche es zusätzlich ein verändertes Verständnis im Syst
em
- im Umfeld von Sportlerinnen und Sportlern genauso wie in der
Gesellschaft, teilte eine Sprecherin mit.