Behandlungsfehler: So mancher Verdacht bestätigt sich Von Sandra Trauner, dpa
Wer Ärzten einen Fehler nachweisen will, braucht einen langen Atem.
Die Krankenkassen helfen - und wünschen sich Verbesserungen, damit
Patienten im Schadensfall schneller zu ihrem Recht kommen.
Frankfurt/Main (dpa/lhe) - 128 anerkannte ärztliche Behandlungsfehler
sind im vergangenen Jahr in Hessen von der Gutachter- und
Schlichtungsstelle der Landesärztekammer gezählt worden. Das waren
etwas mehr als im Vorjahr mit 93, wie aus der am Dienstag vorgelegten
Bilanz hervorging. 804 Mal hatten Patienten oder Angehörige 2021 bei
der Gutachter- und Schlichtungsstelle demnach Anträge wegen
vermuteter Behandlungsfehler gestellt (Vorjahr: 858). 534 Fälle - in
Praxen oder Krankenhäusern - wurden gutachterlich abschließend
geprüft (Vorjahr: 434).
Die meisten Vorwürfe betrafen 2021 laut der Kammer die Fachgebiete
Orthopädie, Unfallchirurgie, Allgemeinchirurgie, Frauenheilkunde,
Innere Medizin, Augenheilkunde, Kardiologie und Neurochirurgie. Im
Vergleich zu 2020 deutlich gesunken seien die Anträge in den
Fachgebieten Handchirurgie und Neurologie. «Selbstverständlich ist
jeder Behandlungsfehler ein Fehler zu viel», sagte Edgar Pinkowski,
der Präsident der Landesärztekammer, laut einer Mitteilung vom
Dienstag. Allerdings lasse sich aus den im Vergleich zum Vorjahr
generell fast unveränderten und in einigen Fachgebieten sogar
deutlich gesunkenen Fallzahlen eine hohe Qualität in Klinik und
Praxis ablesen - trotz der Zusatzbelastung durch die Corona-Pandemie.
Doch wie kann es überhaupt zu Behandlungsfehlern kommen und um was
kann es sich beispielsweise drehen? Die Techniker Krankenkasse nennt
Beispiele: Weil die Handschrift des Arztes nicht richtig entziffert
wird, wird dem Patienten ein falsches Medikament verabreicht. Die
Patientin stürzt von der Behandlungsliege, weil sie während einer
Operation falsch gelagert wurde. Anstatt eines Hauttumors wird ein
Muttermal auf der Haut entfernt. Eine Wurzelbehandlung am Zahn wird
nicht nach den fachlichen Standards durchgeführt.
Während solche Fälle noch vergleichsweise einfach zu beweisen sind,
ist der Nachweis in anderen Fällen äußerst schwierig: etwa, ob die
behandelnde Ärztin mit einer sorgfältigeren Diagnostik einen Tumor
bereits früher hätte erkennen können oder wenn Patienten Hersteller
für fehlerhafte künstliche Gelenke, Herzschrittmacher oder
Brustimplantate zur Verantwortung zu ziehen wollen. Oft steht dann
Aussage gegen Aussage. Der Fall geht vor Gericht, weitere Gutachten
sind nötig. «So gehen häufig die Jahre ins Land, ohne dass der Fall
abgeschlossen werden kann», moniert die TK.
Allein bei der AOK waren zuletzt rund 1100 Verdachtsfälle auf
Behandlungsfehler in Bearbeitung. Die Quote der bestätigten Fälle lag
2021 bei 25 Prozent. Über 1,8 Millionen Euro konnten durch die AOK
Hessen erfolgreich zurückgefordert werden, berichte Hessens größte
Krankenkasse. Robin Diedering, der für das
Behandlungsfehlermanagement der AOK Hessen verantwortlich ist, hält
diese Quote für alles andere als niedrig. «Das zeigt: Viele Menschen
wenden sich dann an uns, wenn auch wirklich Grund dafür besteht.»
Die DAK-Gesundheit in Hessen hatte bis Ende 2021 rund 300 Verfahren
wegen vermuteter ärztlicher Behandlungsfehler in Bearbeitung.
Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Rückgang von rund 16 Prozent,
wie eine Sprecherin sagte. Bei der TK Hessen waren es 560 nach 572 im
Jahr davor. Hier bestätigte sich der Verdacht auf einen
Behandlungsfehler ungefähr bei jedem dritten Fall. Dass die Zahlen
2021 niedriger waren, könnte an Corona liegen, vermutet die TK -
planbare Operationen wurden teilweise verschoben.
Der Medizische Dienst Hessen (MDH) hat noch keine Zahlen für 2021.
2020 hatte der MDH hessenweit 1033 Erstgutachten erstellt. Bei 277
davon - 26,8 Prozent - gingen die Gutachter von einem
Behandlungsfehler aus. Wie die darauf folgenden juristischen
Verfahren ausgingen, ist allerdings nicht bekannt.
«Insgesamt sind die Zahlen des Medizinischen Dienstes nicht
repräsentativ und erlauben daher auch keine aussagekräftigen
Rückschlüsse hinsichtlich der Sicherheit in Krankenhäusern und
Arztpraxen», sagt Ralf Glake, Leiter des Teams Ersatzansprüche.
Denn nicht alle Fälle laufen über den MDH: Manchmal wenden sich
Betroffene direkt an Rechtsanwälte. Andererseits gibt es
Behandlungsfehler, die so eindeutig sind, dass sie ohne Gutachten
direkt von den Haftpflichtversicherungen reguliert werden. Und manche
Behandlungsfehler werden gar nicht als solche erkannt.
Die MDH-Statistik zeigt: Die meisten Behandlungsfehler werden beim
Einsetzen oder Wechseln einer Hüft- oder Knie-Prothese festgestellt,
gefolgt von Fehlern bei Wirbelsäulenoperationen. In fünf Fällen sah
der MDH 2020 einen kausalen Zusammenhang zwischen einem
Behandlungsfehler und dem Tod eines Patienten; in den Jahren davor
waren es jeweils zwischen 10 und 14 Todesfälle gewesen. Sechs Mal
stellte der MDH 2020 sogenannte Never Events fest: Fehler, die durch
bessere Organisation zu vermeiden wären, etwa wenn bei einer
Operation die falsche Seite operiert wird.
Die Techniker Krankenkasse sieht bei Behandlungsfehlern
deutlichen Verbesserungsbedarf. «Aus unserer Sicht sollten die
Verfahren viel schneller abgewickelt und die Patientinnen und
Patienten frühzeitig entschädigt werden», sagt Barbara Voß, Leiteri
n
der TK-Landesvertretung. Die Kasse fordert unter anderem eine
sogenannte Beweislastumkehr: Dann müsste der Arzt seine Unschuld
beweisen - derzeit müssen meist die Patienten den Fehler beweisen.
Hilfreich wären aus Sicht der Kasse auch Spezialkammern an den
Gerichten, ein Register für Behandlungsfehler und ein Härtefallfonds.
Bei Geburtsfehlern müssten Betroffene im Durchschnitt zehn Jahre für
das Recht ihres Kindes kämpfen, berichtet die TK. Ein Grund für das
«extrem langwierige» Verfahren sei, «dass es ganz einfach um sehr
viel Geld geht», sagt Voß: Wenn Behandlungsfehler bewiesen werden,
sind am Ende die Schadenersatzzahlungen sehr hoch.
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