Was mit Babys von Leihmüttern im Ukraine-Krieg passiert Von Christina Sticht, dpa

Aus ganz Europa, aber auch aus den USA, Indien oder China kommen
Paare in die Ukraine, um sich mit Hilfe einer Leihmutter ihren
Kinderwunsch zu erfüllen. Ein Paar aus Ostwestfalen konnte sich mit
seiner wenige Wochen alten Tochter aus dem umkämpften Kiew retten.

Berlin/Porta Westfalica (dpa) - Frauen mit Neugeborenen in
Luftschutzkellern, Babys auf dem Arm von Soldaten bei der
Evakuierung, stillende Mütter auf der Flucht: Die Bilder aus Kiew und
anderen ukrainischen Städten und aus dem Grenzgebiet erschüttern. Um
ihre Kinder bangen nach Kriegsausbruch nicht nur Millionen
Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern auch Hunderte sogenannte
Wunsch-Eltern weltweit, denn die Ukraine gilt als ein Zentrum der
kommerziellen Leihmutterschaft.

Gero und Oksana Berndt aus dem ostwestfälischen Porta Westfalica sind
im Januar mit Hilfe einer Leihmutter Eltern geworden. Als in der
Ukraine die Ausreise-Aufforderung für alle Deutsche kam, wollten sie
nicht ohne ihr Baby Amy das Land verlassen. Zwei Tage vor
Kriegsbeginn waren dann endlich alle Papiere für die kleine Tochter
zusammen, der Rückflug von Kiew nach Hamburg gebucht. Doch dann
erfuhr das Paar am frühen Donnerstagmorgen vom Angriff der Russen.

Aus ihrem Appartement im siebten Stock mussten sie mit anderen
Bewohnern des Wohnblocks nachts in den Keller, hörten
Bombeneinschläge. Wegen der Ausgangssperre gab es zunächst kein
Entkommen. Schließlich ergatterten sie ein Zugticket und
übernachteten im Bahnhof, um am 1. März den Zug nach Lwiw zu
erwischen. Freunde holten sie von der polnischen Grenze ab.

«Ich weiß jetzt, was es heißt, um sein Leben zu rennen», sagt der
50-jährige Gero Berndt. «Ich bin sehr froh, dass unsere Tochter jetzt
in Sicherheit ist», sagt die 40-jährige Oksana Berndt, die aus der
Ukraine stammt. Doch sie habe große Angst um ihre Mutter, die in der
Nähe von Tschernobyl lebt, und um Freunde und Bekannte, die es bisher
nicht aus dem Kriegsgebiet heraus geschafft hätten.

Das Paar hatte jahrelang mit Kinderwunschbehandlungen in Deutschland
vergeblich versucht, ein Baby zu bekommen. Leihmutterschaft ist in
Deutschland wie in vielen anderen Staaten verboten. Deshalb weichen
Paare auf das osteuropäische Land aus, wenn zum Beispiel eine
Krankheit oder Operation eine Schwangerschaft unmöglich machen.

Wie viele Babys von Leihmüttern derzeit in der Ukraine zur Welt
kommen und nicht abgeholt werden können, ist nicht bekannt. Wie die
Leihmütter-Agentur VittoriaVita am 3. März mitteilte, befinden sich
die meisten ihrer Leihmütter «in sicheren Regionen des Landes» und
werden medizinisch und psychologisch betreut.

Die Reproduktionsklinik Biotexcom informiert ihre Kundschaft aus dem
Ausland auch per Youtube-Videos und Facebook-Posts. Die Klinik
gewährleiste weiterhin die Sicherheit der Babys, heißt es auf ihrer
Internetseite. Der Chefarzt hole die Neugeborenen «eigenhändig» nach

der Entbindung ab und bringe sie an einen sicheren Ort, wo sie von
Babysitterinnen rund um die Uhr betreut würden - zum Beweis dafür
gibt es ein Video. Bereits am 28. Februar warnte die Firma
Wunsch-Eltern davor, Leihmütter wegen des Krieges für die Geburt ins
Ausland zu holen. Dies sei nicht legal.

Zwar ist in Deutschland die Leihmutterschaft verboten, bestraft
werden Wunsch-Eltern, die ins Ausland gehen, und deren Leihmütter
aber nicht. Das erläutert der Fachanwalt für Medizinrecht, Holger
Eberlein. Dagegen müssten hier tätige Vermittler und behandelnde
Ärzte mit Strafen rechnen. Eberlein ist im Vorstand des
Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren. «Sie könnten die
schwangeren Leihmütter aus der Ukraine rausholen und bei sich
aufnehmen, aber das machen nicht viele», schätzt der Jurist. Wenn die
Leihmutter in Deutschland das Kind bekomme, sei sie erst einmal
rechtlich die Mutter des Kindes. «Der Prozess über die Adoption wird
dann schwerer.»

Allerdings muss auch Oksana Berndt für ihr Baby trotz vollständiger
ukrainischer Papiere in Deutschland noch das Verfahren der
Stiefkind-Adoption durchlaufen - dabei ist sie die biologische Mutter
und ihr Ehemann der biologische Vater.

Die Leihmütter in der Ukraine sind mit dem Kind, das sie austragen,
nicht genetisch verwandt - ihnen werden ein Embryo oder mehrere
Embryonen eingesetzt, die durch künstliche Befruchtung erzeugt
wurden. Die Spermien beziehungsweise Eizellen können von den
Wunsch-Eltern stammen, das Baby kann aber auch ganz andere
biologische Eltern haben. Die Auftraggeber haben die Möglichkeit,
eine Eizellenspenderin beziehungsweise einen Samenspender über
Datenbanken auszusuchen.

Die Kulturgeografin Carolin Schurr von der Universität Bern
beschäftigt sich seit Jahren mit dem transnationalen Markt für
Leihmutterschaft und den geopolitischen Rahmenbedingungen, die Länder
zu Hotspots werden lassen. Sie fordert ein internationales Abkommen
vergleichbar mit der 1993 verabschiedeten Haager Konvention zur
Regulierung internationaler Adoptionen. «Nationale Regelungen greifen
zu kurz», sagt die Professorin. Notwendig seien internationale
Standards, etwa wie Leihmütter im Fall von gesundheitlichen Schäden
abgesichert werden.

«Die transnationale Leihmutterschaft in der Ukraine findet im Rahmen
eines globalen kapitalistischen Wirtschaftssystems statt, das von der
billigen Verfügbarkeit der reproduktiven Arbeit der Leihmütter in
Krisenregionen wie dem Donbass profitiert», sagt die
Wissenschaftlerin. Ein Komplettpaket mit einem von einer Leihmutter
ausgetragenen Baby wird in der Ukraine für rund 40 000 Euro
angeboten. Die Leihmütter erhalten nach Recherchen von Schurr ein
Drittel bis ein Viertel davon.

In der jetzigen Situation müssten nicht nur die Wunsch-Eltern, die um
ihre Babys bangen, in den Blick genommen werden, betont die
Forscherin. Vielmehr sollte das Leben der Leihmütter und deren
eigener Familien im Vordergrund stehen.

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