Als Mann im Frauen-Beruf Hebamme - im Kreißsaal eine extreme Ausnahme Von Yuriko Wahl-Immel, dpa
In Deutschland sind Männer im Hebammen-Beruf die absolute Ausnahme.
Werden es mit der Umstellung auf eine Hochschulausbildung künftig
mehr? Eine angehende männliche Hebamme schwärmt von dem Beruf. Wie
kommt er bei Kolleginnen und jungen Familien an?
Bielefeld (dpa) - Die Geburt hat 17 Stunden gedauert - ein gesunder
Junge. Mutter erschöpft, Vater fix und fertig, beide überglücklich.
So weit, so normal? Klares Nein. Denn im Kreißsaal ist «die» Hebamm
e
ein Mann. Genauer: Jonas Küppers, 30 Jahre alt und in Deutschland
eine absolute Ausnahmeerscheinung in dem Frauenberuf. Schätzungen
gehen von rund 24 000 Hebammen bundesweit aus. Zum Männer-Anteil gibt
es keine verlässlichen Zahlen. Die Angaben schwanken laut
Wissenschaftlerin Cornelia Schwenger-Fink zwischen sechs und 30
Männern.
Jonas Küppers ist Student der Hebammenwissenschaft an der
Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld - und Feuer und
Flamme für den Beruf. Was hat ihn in die Frauendomäne gebracht? «Das
Thema Hebamme hatte ich eigentlich nie auf dem Schirm. Ich wollte
immer in den medizinischen Bereich und hatte schon eine Ausbildung
zum Heilpraktiker gemacht.» Als eine gute Freundin Hebamme wird, ist
sein Interesse geweckt. Er macht ein Praktikum im Kreißsaal. «Ich
wollte wissen, wie das abläuft und ob ich umkippe. Schon nach der
ersten Geburt war ich total geflasht, euphorisiert.»
Der Düsseldorfer bewarb sich an vielen Hochschulen. «Es war schwer,
an einen Platz zu kommen.» Gerade wird die Hebammenausbildung
bundesweit akademisiert, umgestellt auf ein Bachelorstudium mit viel
Praxisanteil. Für Jonas ging es 2020 los - mit Vorlesungen an der
FH in Bielefeld und parallelem Arbeiten in einer Partnerklinik in
Herford: Kreißsaal, Wochenbettstation, etwas Gynäkologie und
Kinderstation. Bei drei freiberuflichen Hebammen war er im Rahmen des
Studiums bisher tätig. «Die haben das ziemlich gefeiert, dass mal ein
Mann kommt.» Er bekomme von Kolleginnen wie Müttern viel positives
Feedback.
Die Geburtshilfe fasziniert ihn. Die Begleitung der werdenden Mütter
mit ihren Sorgen und Ängsten liegt Jonas, das mitunter therapeutische
Verhältnis kennt er als Heilpraktiker. Ist das Neugeborene da,
betreut der 30-Jährige Väter und Mütter in der frühen Familienphase
,
weist sie ein ins Baden, Wickeln, Anziehen, unterstützt die Frauen in
der Stillzeit. Macht er als Mann grundsätzlich etwas anders als seine
Kolleginnen? Das sieht er so nicht. Aber von einigen erfahrenen
Hebammen habe er die Rückmeldung erhalten, dass er besonders
vorsichtig und behutsam sei.
Expertin Schwenger-Fink glaubt, dass der Beruf mit der Akademisierung
«interessanter und attraktiver» wird - auch für Männer. «Es erö
ffnen
sich europaweite Berufsperspektiven, bessere Aufstiegs- und
Verdienstmöglichkeiten sowie möglicherweise auch eine höhere
Anerkennung des Berufsbildes», sagt die Studiengangsleiterin
Hebammenwissenschaft an der FHM in Hannover. Nachwuchs sei dringend
nötig. Es fehle deutschlandweit an Hebammen, so dass manche Kreißsäle
vorübergehend abgemeldet oder - besonders in kleinen Häusern - ganz
geschlossen werden müssten.
An den FHM-Standorten Bielefeld und Hannover ist Jonas bislang der
einzige männliche Student. Das werde nicht so bleiben, das Berufsbild
befinde sich im Wandel, ist Schwenger-Fink überzeugt - und blickt
über die Landesgrenzen hinaus: So sei der Beruf Hebamme für Männer
etwa in Italien nicht unüblich. Und in jüngster Zeit erhielten
geburtshilfliche Teams zunehmend Unterstützung auch durch männliche
Hebammen-Kollegen aus dem europäischen Ausland. Zu einer vielfältigen
Gesellschaft gehöre, dass der Beruf Hebamme «ganz selbstverständlich
von allen Geschlechtern ausgeübt wird.»
Spürt Jonas Gegenwind? Von «alteingesessenen» Hebammen würden Män
ner
im Job wohl auch skeptisch beäugt. Bislang sei er selbst aber nur ein
einziges Mal auf Abwehr gestoßen: «Im Kreißsaal hat mich eine älter
e
Hebamme gefragt, wie denn das bitte funktionieren soll bei
Vaginaluntersuchungen.» Jonas verweist auf Frauenärzte. Viele
Gynäkologen sind männlich - und deren Rolle werde auch nicht in Frage
gestellt. Manche Kliniken und Hebammen-Praxen lassen Männer bei
intimen Untersuchungen von einer weiblichen Kraft begleiten. Eine
einheitliche Linie gebe es nicht.
Barbara Blomeier, Vorsitzendes des Landesverbands der Hebammen NRW,
beobachtet: «Die Erfahrungen mit männlichen Hebammen sind durchweg
positiv.» Sie betont aber: «Es muss den Frauen offen stehen, lieber
eine weibliche Hebamme haben zu wollen.» Wahlfreiheit für die
werdenden Mütter findet auch Jonas selbstverständlich. Und er
berichtet: «Im Kreißsaal ist der werdende Vater oft froh, dass noch
ein Mann da ist. Männer sind mit der Situation manchmal überfordert -
die Frau hat Schmerzen und sie selbst können nicht helfen. Die Männer
halten sich dann gern an mich.»
Um mehr Männer in den Beruf zu holen, müsse man mehr Wissen über den
Beruf vermitteln und an die Vergütung ran, rät FHM-Dekan Rainer
Beurskens. «Auch heute noch ist der Mann oft Haupternährer der
Familie, da spielt das Gehalt eine entsprechende Rolle.» Jonas will
nach dem Studium weitere Erfahrung im Kreißsaal sammeln und sich
später selbstständig machen. «Ich kann heute nicht mehr
nachvollziehen, warum nicht mehr Männer Hebammme werden wollen,
vielleicht trauen sie sich einfach nicht.»
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