Vermeidbares Unglück - SUV-Fahrer nach Unfall in Berlin verurteilt Von Anne Baum und Marion van der Kraats, dpa
Wie sehr die Hinterbliebenen auch knapp zweieinhalb Jahre nach dem
tödlichen Unfall in Berlin leiden, ist im Prozess deutlich geworden.
Die Verurteilung des SUV-Fahrers wird den Schmerz nicht nehmen. Aber
das Gericht findet deutliche Worte.
Berlin (dpa) - Vier Menschen verlieren am 6. September 2019 in der
Berliner Innenstadt ihr Leben, als der schwarze schwere Wagen in die
Fußgängergruppe an der Ampel rast. Knapp zweieinhalb Jahre später
verurteilt das Landgericht Berlin den SUV-Fahrer zu zwei Jahren Haft
auf Bewährung. Der 45-Jährige hätte wegen seiner gesundheitlichen
Vorgeschichte «erkennen können und müssen, dass er nicht fahrtauglich
war», betonte der Vorsitzende Richter Willi Thoms am Donnerstag bei
der Urteilsverkündung. Er sei trotz einer Epilepsie-Erkrankung und
einer Gehirnoperation nur einen Monat vor dem Unfall Auto gefahren.
Für das Gericht steht fest: Der angeklagte Unternehmer, der in der
Autobranche tätig ist, hat sich der vierfachen fahrlässigen Tötung
sowie der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig
gemacht. Mit der verhängten Strafe gingen die Richter sechs Monate
über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus - und an die Grenze
des Strafmaßes, bei der die Haftstrafe noch zur Bewährung ausgesetzt
werden kann. Der Unfallfahrer soll zudem 15 000 Euro an einen
gemeinnützigen Verein zahlen. Seine Fahrerlaubnis wird ihm entzogen
und eine zweijährige Führerscheinsperre verhängt.
Regungslos saß der 45-Jährige während der Urteilsverkündung zwische
n
seinen Anwälten. An jenem Septemberabend vor knapp zweieinhalb Jahren
war er mit seiner Mutter und seiner kleinen Tochter im Wagen auf dem
Weg zu einer Pizzeria, als er am Steuer eines SUV (Sport Utility
Vehicle) einen epileptischen Anfall erlitt. Das rechte Bein
verkrampfte, trat auf das Gaspedal - «das Auto wurde maximal
beschleunigt», so Richter Thoms.
Ungebremst raste das 400 PS starke Fahrzeug auf den Gehweg der
Invalidenstraße, kollidierte mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde
mit einem Metallpoller und einer Ampel, erfasste die Fußgänger. Die
Opfer hatten keine Chance. Ein dreijähriger Junge, seine 64-jährige
Großmutter und zwei 28 und 29 Jahre alte Männer starben.
Neun Hinterbliebene wurden Nebenkläger im Prozess. Ihr Leben ist aus
den Fugen geraten durch den schrecklichen Unfall. Eine 38-Jährige,
die mit ansehen musste, wie ihr kleiner Sohn und ihre Mutter
zeitgleich starben, schrieb in einer Erklärung: «Wir krümmen uns vor
Schmerz. Wir weinen und weinen und weinen.» Ihre Anwältin zeigte si
ch
nach der Entscheidung zufrieden. Das Urteil sei sehr gut begründet,
sagte Rechtsanwältin Christina Clemm.
Ein vermeidbares Unglück war es aus Sicht der Richter. Der Angeklagte
sei nach einem ersten epileptischen Anfall im Mai 2019 und der
operativen Entfernung eines kleinen Hirntumors rund drei Monate
später von behandelnden Ärzten dafür sensibilisiert worden, dass
weitere Anfälle auftreten könnten. Auch habe er Medikamente einnehmen
müssen. Zwar hätten Ärzte den Mann zum Teil falsch oder zumindest
nicht vollständig über seine Fahreignung aufgeklärt, so Thoms. Er
hätte jedoch eigenverantwortlich nachfragen müssen, betonte der
Richter.
«Wie jeden Fahrzeugführer und jede Fahrzeugführerin traf ihn die
Pflicht, vor der Teilnahme am Straßenverkehr eigenverantwortlich zu
prüfen, ob er in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen», hieß es
weiter im Urteil. Hätte der Unternehmer nachgefragt, wäre ihm gesagt
worden, dass er zwölf Monate lang kein Fahrzeug hätte führen dürfen
.
Wünschenswert wäre, wenn die Fahrerlaubnisbehörde über ärztlich
e
Fahruntauglichkeit informiert werden würde, so die Richter.
Möglicherweise wäre dann die Hemmschwelle größer, sich ans Steuer z
u
setzen.
Vier Menschen sind gestorben. «Kein Urteil kann den unsagbaren
Schmerz der Hinterbliebenen lindern», sagte der Richter. Das Gericht
habe sich gerade noch für eine Bewährungsstrafe für den Unfallfahrer
entschieden. Dabei sei berücksichtigt worden, dass der Mann seine
Patientenakte freigegeben und Ärzte von der Schweigepflicht entbunden
habe. Damit habe er Aufklärungshilfe geleistet. Zudem habe der nicht
vorbestrafte 45-Jährige tiefes Bedauern gezeigt und 50 000 Euro
Schmerzensgeld gezahlt.
Verteidiger Robert Unger, der auf Freispruch plädiert hatte, will mit
seinem Mandanten in Ruhe besprechen, ob sie Rechtsmittel einlegen.
Sein Mandant sei von Ärzten «falsch und schlecht beraten worden und
konnte deshalb auch seine eigene Situation nicht richtig
einschätzen», erklärte Unger. Der 45-Jährige habe im Verfahren «v
on
sich aus Punkte aufgeklärt, die sonst nicht hätten aufgeklärt werden
können». Aus Respekt vor den Opfern habe er sich nicht taktisch
verhalten wollen.
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