Barmer-Analyse: Mehr Pflegebedürftige und fehlende Fachkräfte

Die Situation in der Altenpflege spitzt sich zu: Menschen werden
älter und müssen betreut werden, doch es fehlt an Personal. Laut
einer Prognose sind die Herausforderungen in Baden-Württemberg größer

als zunächst gedacht.

Stuttgart/Bremen (dpa/lsw) - Die Situation in der Altenpflege in
Baden-Württemberg wird nach einer Prognose der Krankenkasse Barmer
brisanter als bisher angenommen. Bis zum Jahr 2030 werden demnach
710 000 Menschen auf entsprechende Hilfe angewiesen sein, wie aus dem
am Donnerstag in Stuttgart veröffentlichten Pflegereport der
Krankenkasse hervorgeht. Das seien über ein Fünftel mehr Menschen,
die dann Hilfe benötigten als bislang angenommen. Zugleich würden
zusätzlich 4000 Pflegekräfte fehlen. Ursachen für diese Entwicklung
seien unter anderem die demografische Entwicklung und der
vereinfachte Zugang zu Leistungen. Die Studie wurde von
Wissenschaftlern der Universität Bremen erstellt.

Barmer-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze sagte, die Situation in

der Pflege werde sich verschärfen. Die Ampel-Koalition müsse das
Thema zur Chefsache machen. «Die Pflege hat bisher ein Imageproblem
gehabt. Das wandelt sich aber.» Man müsse weiter daran arbeiten, um
mehr junge Leute für diesen Bereich zu interessieren. Aber auch die
Pflegeeinrichtungen müssten ihren Teil dazu beitragen, um die
Arbeitsbedingungen zu verbessern und für die Branche werben.

Der Vorstand des Caritasverbandes Konstanz, Andreas Hoffmann, sagte,
Fachkräfte aus dem Ausland lösten das Problem nicht. Zugleich
kritisierte er die Politik, dass es immer noch keine konkreten
Vorgaben zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gebe.

Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) sagte, dass Land investiere
bereits in mehr Medizin-Studienplätze und setze engagiert das
Pflegeberufereformgesetz für die reformierte generalistische
Ausbildung von Pflegekräften um. Auf Grundlage der Empfehlungen der
Enquetekommission Pflege würden Maßnahmen zur Bekämpfung des
Fachkräftemangels und zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen
umgesetzt - zum Beispiel Teilzeitausbildungen, um so die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. «Die
generalistische Pflegeausbildung eröffnet zudem bessere Aufstiegs-
und Karrierechancen.»

Auch der Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland komme eine
tragende Funktion zu, sagte Lucha und betonte: «Hier gilt es jedoch,
auch die Belange der Herkunftsländer bei der Sicherstellung ihres
eigenen Versorgungsbedarfs zu berücksichtigen.»

Verdi-Gesundheitsexpertin Irene Gölz zufolge braucht es mehr Personal
durch eine verbindliche Personalbemessung und eine Aufwertung der
Pflegeberufe. «Dafür muss die Finanzierung gesichert werden, damit es
nicht die Pflegebedürftigen sind, die dies bezahlen müssen.» Die
Gewerkschaft fordere deshalb eine solidarische Pflegegarantie mit
einer Pflegevollversicherung.

Barmer-Chef Plötze sorgt sich auch wegen der seit Jahren steigenden
finanziellen Eigenanteile der Pflegebedürftigen. Dies sei eine
gewaltige Herausforderung. Um einen Platz in einem
baden-württembergischen Pflegeheim zu finanzieren, müssen die
Bewohner mehr Geld ausgeben. Der selbst zu zahlende Anteil betrug zu
Jahresbeginn 2541 Euro, wie aus Daten des Verbands der Ersatzkassen
(VDEK) mit Stand 1. Januar hervorgeht. Das sind 136 Euro mehr als
Anfang vergangenen Jahres.

Für die Arbeitskräfte in der Altenpflege ist ihre Tätigkeit eine
starke Belastung. Nach Angaben von Plötze waren die Mitarbeiter im
Jahr 2020 26,6 Tage krankgeschrieben. 11,5 Tage länger als im
landesweiten Durchschnitt. Der hohe Krankenstand von 7,3 Prozent
(Landesdurchschnitt: 4,1 Prozent) erhöhe die Arbeitsbelastung für die
verbliebenen Pflegekräfte. Es seien bessere Arbeitsbedingungen in der
Pflege notwendig, sagte der Krankenkassen-Vertreter.