Der Corona-Leugner in meiner Familie: schwere Krisen und große Not Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Freunde und Familienmitglieder verfangen sich in Verschwörungsmythen,
leugnen Corona, driften ab. Bindungen zerreißen. Was tun? Ein
betroffenes Paar hat eine Selbsthilfegruppe gegründet - es gibt noch
wenige in Deutschland. Das Problem trifft aber viele, sagen Experten.

Bochum (dpa) - Familien zerbrechen, Ehepartner stehen sich fremd
gegenüber, enge Eltern-Kind-Bindungen zerreißen. Wenn Angehörige oder

Freunde in der Pandemie zu Anhängern von Verschwörungsmythen werden,
sich zu Corona-Leugnern entwickeln, sind die Belastungsproben schwer,
zerstört das selbst innigste Beziehungen. Studentin Sarah, die das
Abdriften ihres Vaters kaum ertragen kann, ihn aber auf keinen Fall
aufgeben möchte, hat mit ihrem Freund eine Selbsthilfegruppe
gegründet. In Bochum ist sie nun zum ersten Mal mit 15 Teilnehmenden
zusammengekommen.

«Es sind ganz unterschiedliche Charaktere dabei, Jung und Alt. Bei
allen geht es um einen Menschen in der Familie, der ihnen unheimlich
wichtig ist», schildert Sarah (30). «Und bei allen ist der
Leidensdruck über die Zeit größer geworden.» Ihr Freund Tim sagt na
ch
der Online-Runde: «Alle haben schon ordentlich eingesteckt.» Es gehe
um Eltern, Kinder, Geschwister, Partner, die man nicht verlieren
wolle. «Man steht vor einem Menschen, den man liebt und weiß nicht
mehr weiter. Das Thema verbindet uns.» Schon das Gefühl, nicht die
«einzig hilfesuchende Person» zu sein, stärke und könne motivieren.


«Allen ist bewusst, dass es kein Allheilmittel gibt», betont Tim
(32). Aber man könne sich Tipps geben - etwa wie sich Streitthemen
womöglich umschiffen lassen, damit der Gesprächsfaden nicht ganz
abreißt. Und wo man Unterstützung von Fachberatungsstellen bekommt.
«Alle in der Gruppen möchten den Kontakt zu der schwierigen Person in
ihrem Familienkreis halten, auch wenn das superanstrengend ist. Es
gibt Schicksale, da geht der Riss schon mitten durch die Familie»,
berichtet Sarah.

Sie weiß, wie sich die Verzweiflung anfühlt. «Als mein Papa immer
merkwürdigere Dinge von sich gab und dann plötzlich am Telefon sagte,
als Ungeimpfter müsse er wohl bald den Judenstern tragen, bin ich
zusammengebrochen.» Das war nicht ihr Vater, der studiert, in vielen
Ländern gearbeitet hatte, der offen ist gegenüber allen Kulturen.
«Vom Empfinden her war das nicht mehr mein Papa, auch nicht seine
Wortwahl. Ich habe stundenlang geheult.» Sein gesamtes
Gedankenkonstrukt habe sich auf Corona, Impfverweigerung und
Verschwörungsmythen verengt.

«Wenn der Glaube an Verschwörungen identitätsstiftend wird,
beeinflusst er das gesamte Leben», erläutert Sozialpsychologin Pia
Lamberty. Das zerstöre Ehen und Familien, führe zu Verzweiflung, auch
Scham - und zu Schmerz, wenn nahestehende Menschen sterben, weil sie
die Impfung als Verschwörung abgetan hatten. «Deswegen ist es auch so
wichtig, sich mit anderen auszutauschen, die Ähnliches erleben», sagt
die Geschäftsführerin der Organisation CeMAS, die sich eingehend mit
Verschwörungstheoretikern befasst.

Selbsthilfegruppen seien gerade erst am Anfang. So ist zeitgleich zur
Bochumer Initiative auch eine Gruppe in Erlangen neu an den Start
gegangen. Im digitalen Raum gebe es einen Austausch, ergänzt
Lamberty. «Die Angebote dürften den Bedarf aber bei weitem noch nicht
abdecken.»

Das Problem betreffe viele, der Beratungsbedarf sei enorm gewachsen,
berichtet auch Christoph Grotepass vom Sekten-Info NRW. Es gehe um
Zweifel an politischen Maßnahmen über diffuse Impfängste bis hin zur

Vorstellung, dass die Bevölkerung belogen, dezimiert oder
ausgetauscht werden solle. Die Vertrauensbasis in den Familien
schwinde, es komme zu Entfremdung, Sprachlosigkeit, Ängsten
voreinander bis hin zur Gefährdung Dritter - auch Kinder - durch die
Verweigerungen von Schutzmaßnahmen.

Grotepass geht davon aus, dass eine Selbsthilfegruppe nicht für alle
der geeignete Weg ist. «Manche brauchen erst eine Stabilisierung
durch einen beraterischen Kontext, manche möchten sich nicht anderen
gegenüber offenbaren.» Beratungsstellen könnten individuell helfen,
eine möglichst passgenaue Intervention zu finden.

Vielerorts werden sich weitere Gruppen gründen, glaubt man bei der
Selbsthilfe-Kontaktstelle des Paritätischen. Selbst wenn die
Corona-Krise überwunden sei, bleibe das Thema, würden sich die
Probleme innerhalb der Familien nicht einfach von selbst auflösen.
Die Kontaktstelle hat die Bochumer Gründung unterstützt, eine
Beraterin hat das erste Treffen begleitet. Ziel sei aber, dass solche
Gruppen schnell autonom arbeiten können. Viele Kontaktstellen stehen
einer Sprecherin zufolge bei Neugründungswünschen parat.

Nach schwierigen Monaten hat Sarah eine Strategie, auch dank
intensiver Beratungen beim Sekten-Info. In Gesprächen mit ihrem Vater
sucht sie nun vor allem nach Verbindendem, Gemeinsamkeiten. «Und ich
versuche nicht mehr, ihm seine in meinen Augen komischen Ansichten
mit Argumenten auszureden.» Ohnehin aussichtslos. «Ich sage ihm aber
klar, dass ich auf seine Themen keinen Bock habe, nicht seiner
Meinung bin.» Sie zeigt ihm, dass sie sich um ihn sorgt und bemüht
sich, seine Beweggründe emotional nachzuvollziehen. «Da sehe ich
Angst und Unsicherheit.»

Tim sagt: «Niemand gibt gerne zu, sich verrannt zu haben. Man muss
den Betroffenen auch Zeit geben und darf ihnen den Ausweg nicht
blockieren.» Beide sind froh, die Gruppe gestartet zu haben. Sie
haben schon eine zweite Gründung unterstützt: «Um dem großen Anst
urm
gerecht zu werden.»

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