Zwei Jahre Corona in Deutschland - Mehr als 200 000 Neuinfektionen Von Sascha Meyer, Gisela Gross und Stefan Heinemeyer, dpa
Die Corona-Welle baut sich immer gewaltiger auf - und wieder sind
bisherige Höchstmarken Geschichte. Doch was sagen die reinen
Infektionszahlen bei der neuen Virusvariante Omikron noch aus?
Berlin (dpa) - Genau zwei Jahre nach dem ersten bestätigten Fall in
Deutschland ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf beispiellose
Höhen geschnellt. Die Gesundheitsämter meldeten erstmals mehr als
200 000 neue Fälle an einem Tag, wie das Robert Koch-Institut (RKI)
am Donnerstag bekannt gab. Die Sieben-Tage-Inzidenz durchbrach die
Schwelle von 1000. Wegen der rasanten Ausbreitung der Virusvariante
Omikron stellen sich Kliniken auf zahlreiche neue Patienten ein -
auch wenn Krankheitsverläufe mit Omikron meist eher milder ausfallen.
Mindestens 43 Millionen Menschen oder 51,7 Prozent der Bevölkerung
haben inzwischen Auffrischungsimpfungen («Booster») bekommen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte der «Frankfurter
Allgemeinen Zeitung» (FAZ/Freitag): «Pandemien kontrolliert man
nicht, man minimiert nur die Folgen. Und das ist uns bei der
Omikron-Welle bisher ganz gut gelungen.» Er verwies auf Auflagen,
Kontaktbeschränkungen und Tests. «Alles ist darauf zugeschnitten,
dass man die Zahl der Fälle so entschleunigt, dass die Krankenhäuser
nicht zu viele Patienten auf den Intensivstationen versorgen müssen.»
Der SPD-Politiker bekräftigte, dass wohl Mitte Februar die höchsten
Zahlen mit bis zu 400 000 Ansteckungen pro Tag zu erwarten seien.
Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner stieg
nun laut RKI auf den Rekordwert von 1017,4 - nach 940,6 am Vortag und
638,8 vor einer Woche. Im Länder-Vergleich reicht die Spanne von
371,8 in Thüringen bis 1863,2 in Berlin. Bundesweit wurden binnen
eines Tages 203 136 neue Fälle gemeldet.
Am 27. Januar 2020 war das Coronavirus bei einem Mann aus Bayern
hierzulande erstmals bestätigt worden. Seitdem wurden mehr als neun
Millionen Infektionen registriert, mehr als 117 000 Menschen starben
an oder unter Beteiligung einer Infektion. Seit Ende 2020 werden
Impfungen angeboten. Inzwischen haben mindestens 61,3 Millionen
Menschen oder 73,7 Prozent der Bevölkerung einen vollständigen
Grundschutz mit der dafür meist nötigen zweiten Spritze. Mindestens
eine erste Impfung haben 62,9 Millionen Menschen (75,6 Prozent).
Lauterbach stellte Vorschläge in Aussicht, um bald schneller an Daten
zu Klinik-Einweisungen zu kommen. «Wenn die Infektionszahlen nur
langsam steigen, spielt der Verzug keine so große Rolle», sagte er
der «FAZ». Wenn die Zahl sich innerhalb von einer Woche verdoppele
wie jetzt bei Omikron, «dann sind sieben Tage eine Ewigkeit».
Der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß,
sagte im ZDF, man werde «in den kommenden Tagen und wahrscheinlich
Wochen eine hohe Dynamik neuer Zugänge in die Krankenhäuser erleben».
Dazu komme, dass Personal wegen eigener Ansteckungen ausfalle.
Gerechnet wird nun auch mit größerer Belastung von Normalstationen.
Der Leiter des Divi-Intensivregisters, Christian Karagiannidis,
sagte, auf Intensivstationen sehe man eher eine Seitwärtsbewegung.
Auf individueller Ebene mache Omikron wahrscheinlich weniger krank.
«Das heißt, wir haben auch mehr Patienten auf den Intensivstationen,
die sich nicht mit einem ganz schweren Lungenversagen vorstellen.»
Der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt,
sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag): «Je stärker
die Inzidenzen steigen, desto mehr Praxen werden auch vorübergehend
krankheitsbedingt schließen müssen.»
Nach der Orientierungsdebatte im Bundestag über die Einführung einer
allgemeinen Impfpflicht wird weiter über eine mögliche Umsetzung
diskutiert. Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebunds ist
eine Datenbasis dafür nötig. «Der einfachste und beste Weg, dieses
Ziel zu erreichen, ist ein nationales Impfregister, in dem die
Informationen zum Corona-Impfstatus und zu weiteren Impfungen
gespeichert werden», sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag).
Lauterbach hielt dem im ZDF entgegen, Kontrollen von Impfnachweisen
könnten prinzipiell etwa auch am Arbeitsplatz, beim Nutzen bestimmter
Verkehrsmittel oder auch bei Arztbesuchen erbracht werden. Es könnte
auch einfach sporadische Kontrollen geben wie in Österreich.
Bei den reinen Fallzahlen gehen Fachleute von einer hohen und weiter
steigenden Untererfassung aus. Das heißt, immer mehr Infizierte
tauchen nicht in der Statistik auf, etwa weil maßgebliche PCR-Tests
knapp und Gesundheitsämter vielerorts am Limit sind. «Die zunehmende
Untererfassung bedeutet aber nicht, dass die Inzidenz unwichtig
wird», sagte der Amtsarzt von Berlin-Neukölln, Nicolai Savaskan. Es
bleibe ein wichtiger Indikator, aus dem abgeleitet werden könne, was
bevorsteht: etwa in Hinblick auf Krankenhauseinweisungen. Auch fürs
Planen von Maßnahmen bleibe der Blick auf die Inzidenz relevant.
Bisher grassiert das Virus den RKI-Daten zufolge besonders stark in
den Altersgruppen unter 35 Jahren. Bei Kindern und Jugendlichen
im Alter von fünf bis 14 liegt die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz
bei knapp 2600. Dass Menschen ab 60 Jahren bisher weniger als 300
Ansteckungen pro 100 000 Einwohner und Woche aufweisen, könnte zu
einem gewissen Grad auch mit der Testhäufigkeit zusammenhängen.
Insbesondere geimpfte Erwachsene werden seltener getestet als etwa
Schüler. Experten rechneten aber mit einem Anstieg auch bei Älteren.
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