Genesene, die unbekannten Wesen Von Sandra Trauner, dpa
Die Entscheidung, dass Genesene nur noch knapp drei Monate als
geschützt gelten, sorgt vielfach für Unmut und Unverständnis. Ist das
Vorgehen wissenschaftlich haltbar? Beim Thema Genesene ist das nicht
das einzige Problem.
Frankfurt/Main (dpa) - Der Immunologe Carsten Watzl spricht von
«Blindflug»: Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie weiß niemand in
Deutschland halbwegs genau, wie viele Menschen bis zum jetzigen
Zeitpunkt von einer Corona-Infektion genesen sind. Bis zu 20
Millionen könnten es durchaus sein, schätzt der Generalsekretär der
Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Die Entscheidung, die Dauer
des Genesenen-Status bei den Corona-Schutzmaßnahmen auf drei Monate
zu halbieren, findet Watzl «nicht nachvollziehbar». Genesene sollten
Geimpften gleichgestellt werden.
«Zahlreiche Studien» hätten herausgefunden, dass Menschen, die von
Covid-19 genesen sind, sich in den Monaten darauf selten erneut
infizieren, erläutern Noah Kojima und Jeffrey Klausner in einem
Beitrag im Fachmagazin «The Lancet Infectious Diseases» vom November.
Einer Studie vom September zufolge senkte eine Infektion mit dem
Delta-Typ des Virus das Risiko, sich erneut zu infizieren, um mehr
als 80 Prozent. Eine andere Studie zeigte, dass sich von mehr als
9000 zuvor Infizierten innerhalb eines Jahres nur 0,7 Prozent erneut
ansteckten. Einschränkung dabei: Die Variante Omikron, die verstärkt
von anderen Varianten Genesene infizieren kann, kursierte noch nicht.
«Wenn man eine Infektion durchgemacht hat, ist man immun», sagt
Watzl. «Aber die Immunität ist sehr variabel.» Beim Einen sei sie
sehr stark, beim Anderen eher schwach. «Im Mittel ist man etwas
weniger geschützt als mit zwei Dosen Biontech.» Aber, betont Watzl,
es gebe auch Vorteile: «Bei Genesenen geht der Antikörperspiegel
etwas langsamer zurück als bei Geimpften. Und die Antikörper sind
breiter aufgestellt.»
Antikörper sind zudem nur ein Teil des Schutzes, den der Körper
ausbildet. T-Zellen könnten möglicherweise sogar lebenslang aktiv
sein. Patienten, die sich 2002/03 mit Sars-Cov-1 infiziert hatten,
wiesen laut «The Lancet Infectious Diseases» noch 17 Jahre später
T-Zellen gegen diesen Virentyp auf. Die Autoren empfehlen der Politik
explizit, Genesene mit Geimpften gleichzustellen - allerdings fiel
dieses Urteil eben zu einer Zeit, als die Delta-Variante dominierte.
Ist die Lage mit Omikron anders?
Watzl glaubt nicht, dass sich die Situation für Genesene durch
Omikron entscheidend verändert hat. «Studien zeigen zwar, dass viele
Antikörper von Genesenen die Omikron-Variante nicht mehr so gut
erkennen können und diese Personen damit kaum noch einen Schutz vor
der Infektion haben», sagt der Immunologe. «Aber diese Veränderung
gilt ebenso für Geimpfte. Wenn man den Genesenen-Status verkürzt,
muss man das eigentlich auch für die Impfzertifikate tun.» Die
Verkürzung auf drei Monate sei eine «politische Entscheidung, die auf
Basis der Daten nicht nachvollziehbar ist». Kritiker sagen: Bei der
Entscheidung sei es vor allem darum gegangen, mehr Menschen zum
Impfen zu bewegen, nicht um eine wissenschaftlich sinnvolle Lösung.
Die Gültigkeit des Genesenen-Nachweises wurde Mitte des Monats laut
Robert Koch-Institut (RKI) gekürzt, «da die bisherige
wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach
einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Delta-Variante
herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer
erneuten Infektion mit der Omikron-Variante haben». Die
Bundesregierung beruft sich auf die Festlegung des RKI.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch: «Das war
jetzt keine politische Entscheidung, sondern es ist der
wissenschaftliche Stand, den das RKI, das dafür zuständig ist,
mitgeteilt und umgesetzt hat».
Die EU-Staaten hatten sich dagegen am Dienstag darauf verständigt,
dass sich Reisende ab 1. Februar innerhalb der Union ohne weitere
Auflagen frei bewegen können sollen, wenn sie einen gültigen Impf-,
Test- oder Genesenennachweis vorlegen. Beim Genesenennachweis wird
hier eine Gültigkeit von 180 Tagen genannt, also sechs Monate.
Deutschland und anderen Ländern steht es jedoch frei, für Aktivität
en
innerhalb des Landes - etwa Restaurantbesuche - den Genesenenstatus
kürzer gelten zu lassen.
Der Virologe Hendrik Streeck, Mitglied des Expertenrats der
Bundesregierung, sagte der «Welt», man müsse «wirklich aufpassen,
dass die Entscheidungen auf fundiertem Wissen basieren und nicht
willkürlich getroffen werden». In einem Gastbeitrag für die «Zeit
»
schrieb er kürzlich: «Vernachlässigt wird die wachsende Gruppe der
Genesenen ... Da der Schutz nach einer Infektion vergleichbar mit dem
nach einer Impfung ist, sollte der Genesenenstatus aufgewertet,
sollten Genesene Geimpften gleichgestellt werden.»
Das RKI schätzt die Zahl der Genesenen derzeit auf rund 7,5 Millionen
(Stand Donnerstag), geht aber selbst von einer «Untererfassung» aus.
«Wir wissen nicht, wer in Deutschland genesen ist, wir wissen nicht,
wer nur genesen ist und wer sich später noch hat impfen lassen», sagt
Watzl. Das sei aber wichtig, um die Größe der viel beklagten
Impflücke realistisch einzuschätzen. Watzl spricht ohnehin lieber von
«Immunitätslücke». Die könnte durchaus kleiner sein als angenomme
n,
schätzt Watzl, denn Genesene müssten ja zur Zahl der Geimpften
dazugerechnet werden.
Als Plädoyer gegen eine Impfung will Watzl seine Aussagen explizit
nicht verstanden wissen: Nach einer Infektion sei es sehr ratsam,
sich dennoch impfen zu lassen. Eine solche «hybride Immunität» sei
«der beste Schutz, den die Wissenschaft aktuell kennt».
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.