Geburtstagsfeier im Lockdown: Wird Johnson ein Kuchen zum Verhängnis? Von Christoph Meyer, dpa

Die Liste der angeblichen Lockdown-Partys im Amtssitz des britischen
Premiers wird immer länger, ein Misstrauensvotum gegen Boris Johnson
immer wahrscheinlicher. Nun ermittelt sogar die Polizei.

London (dpa) - Kuchen, ein Ständchen und 30 Gäste: Neue Enthüllungen

über Feiern im Amtssitz des britischen Premierministers bringen Boris
Johnson weiter in Bedrängnis. Und als wäre das nicht genug, kündigte

am Dienstag auch noch die Londoner Polizei an, zu den Lockdown-Partys
in Regierungsgebäuden zu ermitteln. Zuvor hatte der Fernsehsender ITV
berichtet, Johnson habe im Juni 2020 in seinem Amtssitz 10 Downing
Street in größerer Gesellschaft Geburtstag gefeiert. Private Treffen
in Innenräumen waren damals nicht erlaubt. Die Regierung dementierte
den Bericht im Grundsatz nicht.

«Ich kann bestätigen, dass die Metropolitan Police zu einer Reihe von
Veranstaltungen im Zusammenhang mit potenziellen Verstößen gegen die
Corona-Auflagen ermittelt», sagte Scotland-Yard-Chefin Cressida Dick
am Dienstag in einem Ausschuss des Londoner Stadtrats. Für den seit
Wochen wegen Berichten über mutmaßlich illegale Lockdown-Partys in
der Kritik stehenden Johnson kommen die neuen Entwicklungen zu einem
heiklen Zeitpunkt. Die kritischen Stimmen in seiner konservativen
Partei werden immer lauter. In den vergangenen Tagen kamen Vorwürfe
wegen Diskriminierung von Muslimen im Regierungsapparat und laschen
Vorgehens gegen Betrug bei Corona-Hilfen hinzu.

Einen positiven Nebeneffekt könnten die polizeilichen Ermittlungen
für Johnson aber haben: Medienberichten zufolge soll die eigentlich
in dieser Woche erwartete Veröffentlichung der Ergebnisse einer
internen Untersuchung nun verschoben werden. Der Ausgang der
Nachforschungen durch die Spitzenbeamtin Sue Gray zu den mutmaßlichen
Lockdown-Partys gilt als möglicherweise entscheidend für Johnsons
politische Zukunft.

Mehrere Mitglieder seiner eigenen Fraktion wollen ihn stürzen. Die
neuen Enthüllungen dürften Wasser auf ihre Mühlen sein. Insider
halten ein Misstrauensvotum inzwischen für unausweichlich. Als
Nachfolger bringen sich bereits Außenministerin Liz Truss und
Finanzminister Rishi Sunak sowie der Vorsitzende des
Gesundheitsausschusses, Jeremy Hunt, in Stellung.

Bis zu 30 Gäste sollen ITV zufolge bei der angeblichen Feier am
Nachmittag des 19. Juni 2020 zu Johnsons 56. Geburtstag dabei gewesen
sein, darunter vor allem Mitarbeiter, aber auch die Designerin Lulu
Lytle, die damals für viel Geld die Dienstwohnung der Johnsons
renovierte - ein weiterer Skandal.

Johnsons heutige Frau Carrie soll dem Bericht zufolge «Happy
Birthday» als Geburtstagsständchen angestimmt haben. Neben der Torte
soll es auch ein Picknick mit Leckereien einer bekannten Kaufhaus-
und Feinkostkette gegeben haben. Später seien mehrere
Familienmitglieder zu einer privaten Feier in der Wohnung der
Johnsons gewesen.

Eine Regierungssprecherin bestritt den Bericht über die Zusammenkunft
nicht, wertete sie aber nicht als Party, sondern als kurzes Treffen
von Mitarbeitern im Anschluss an eine Besprechung, um dem Premier zu
gratulieren. Johnson sei weniger als zehn Minuten dabei gewesen.
Insgesamt habe das Event nur 20 bis 30 Minuten gedauert. Den Bericht
über Gäste in der Dienstwohnung wies die Sprecherin als «komplett
unwahr» zurück. Johnson habe lediglich eine kleine Gruppe von
Familienmitgliedern im Freien empfangen. Die Designerin Lytle ließ
wissen, sie habe sich nur zum Arbeiten in der Downing Street
aufgehalten und außerhalb des Raums, in dem angeblich gefeiert wurde,
auf ein Gespräch mit Johnson gewartet.

Die Reaktionen in der Presse waren verheerend. Viele Blätter nahmen
ein Foto Johnsons mit einer Geburtstagstorte auf die Titelseite. Die
«Sun» titelte spöttisch «You can't have your birthday cake...and ea
t
it, Boris» - eine Anspielung auf ein englisches Sprichwort, das ins
Gegenteil verwandelt als Johnsons Lebensmotto gilt. Im Original
bedeutet es: Man kann einen Kuchen nicht essen und gleichzeitig für
später aufbewahren. Besonders während der Brexit-Verhandlungen war
Johnson aber der Meinung, er könne das sehr wohl - und wollte die
Vorteile der EU-Mitgliedschaft trotz Austritts gerne behalten.
Brüssel bezeichnete das als Rosinenpicken und blockte die Versuche
ab. Für Spott sorgte auch, dass Johnson zu Beginn der Pandemie immer
wieder betont hatte, man solle sich so lange die Hände waschen, bis
man zweimal «Happy Birthday» gesungen habe.

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei kritisierte die
Regierung als «chaotisch und steuerlos» und forderte zum wiederholten
Mal Johnsons Rücktritt. «Er muss gehen», bekräftigte Starmer.

Mit einem freiwilligen Abgang Johnsons wird kaum gerechnet.
Gefährlich werden könnte ihm aber der wachsende Unmut in der eigenen
Partei. Als Chef der Tory-Partei sieht er sich einer
unübersichtlichen Koalition aus verschiedenen Lagern gegenüber.
Sollten sich 54 Mitglieder seiner Fraktion im Unterhaus schriftlich
für einen Wechsel aussprechen, käme es zum Misstrauensvotum.

Ein letzter Trumpf Johnsons könnte sein, dass es bislang keinen
klaren Favoriten als Nachfolger gibt. Außenministerin Truss gilt zwar
als Liebling der Brexit-Anhänger, hat jedoch in der Bevölkerung nicht
den besten Ruf. Schatzkanzler Sunak konnte während der Pandemie mit
dem großzügigen Furlough-Programm - der britischen Kurzarbeit -
punkten. Als Schwiegersohn eines indischen Milliardärs gilt er aber
als wenig geeignet, um die von Johnson erfolgreich umworbene
Arbeiterschaft im Norden Englands zu begeistern. Hunt ist allenfalls
ein Außenseiter.

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