Harmloses Omikron? Wie kritisch die Infektion für den Einzelnen ist Von Josefine Kaukemüller, dpa

Die sich rasant ausbreitende Omikron-Variante lässt viele
Warnmeldungen auf dem Handy aufleuchten und Tests anschlagen. Daten
zeigen, dass schwere Verläufe seltener sind als bei Delta. Wie
gefährlich ist es für den Einzelnen, sich zu infizieren?

Berlin (dpa) - Eine immense Omikron-Welle rollt durch Deutschland,
längst ist die Virusvariante vorherrschend. Was sicher scheint:
Omikron verbreitet sich zwar besonders schnell, schwere Verläufe sind
aber seltener. Im Podcast «Coronavirus-Update» des NDR fasst
Virologin Sandra Ciesek zusammen: Nie sei das Risiko, sich zu
infizieren, größer gewesen - zugleich sei das Risiko für eine schwere

Erkrankung, wenn man geimpft oder geboostert sei, niedrig wie nie.
Wie Omikron das individuelle Risiko bei einer Infektion verändert -
und warum Experten weiter zu Vorsicht mahnen:

Der Hamburger Intensivmediziner Stefan Kluge verweist auf Daten aus
mehreren Ländern, die zeigen, dass das Risiko, mit Omikron ins
Krankenhaus zu müssen, im Vergleich zu Delta in allen Altersgruppen
wohl um mehr als die Hälfte reduziert ist. «Das ist eine gute
Nachricht», so der Lungenfacharzt.

Virologin Ciesek beruft sich im Podcast auf eine noch im Preprint -
also ohne Überprüfung von Fachkollegen - veröffentlichte Studie aus
Südkalifornien, die klinische Verläufe bei Omikron-Patienten mit
denen von Patienten mit Delta vergleicht. Mit breiter Datenbasis
zeige sich, dass Patienten mit Omikron seltener beatmet werden müssen
und auf der Intensivstation liegen. Im Schnitt lägen sie bei
Hospitalisierung zudem drei oder vier Tage kürzer im Krankenhaus.

Nach allgemeiner Einschätzung gelten Corona-Infektionen, bei denen
man ins Krankenhaus muss, als schwere Verläufe. Christian
Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters,
sagt: «Wir wissen noch nicht so viel darüber, wie schwer bei Omikron
das Lungenversagen ist, wenn die Erkrankten auf die Intensivstation
müssen.» Er gehe «nach ersten vorsichtigen Berichten» aus dem Ausla
nd
aber nicht davon aus, dass der Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen
(Ecmo) bei Omikron so häufig nötig sei wie bei Delta.

Großer Einflussfaktor: der Impfstatus

Ein enormer Einflussfaktor für den individuellen Schweregrad einer
Infektion ist den Experten zufolge der Impfstatus. Die
Grundimmunisierung mit Auffrischimpfung schützt nach
wissenschaftlichem Konsens zwar bei Omikron nicht unbedingt vor
Ansteckung, aber zuverlässig vor schweren Verläufen.

Mit Blick auf US-Daten sagt Karagiannidis, derzeit seien etwa 90
Prozent der dort mit Corona im Krankenhaus liegenden Menschen
ungeimpft. «Das ist sicher die Risikogruppe, bei der auch Omikron
einen schweren Verlauf nehmen kann», so der Intensivmediziner. Er
warnt auch vor dem Long-Covid-Risiko nach Erkrankung vor allem der
Ungeimpften, das nicht unbedingt mit ihrem Schweregrad zusammenhänge.

Mild heißt nicht unbedingt harmlos

Typische Symptome einer Omikron-Infektion sind laut Kluge Schnupfen,
Husten, Hals- und Kopfschmerzen - besonders bei Geimpften seien sie
oft gering ausgeprägt. Geruchs- und Geschmacksstörungen, wie sie bei
Delta-Infektionen häufiger aufgetreten seien, sehe man selten. Doch
auch die als leicht oder mild bezeichneten Verläufe sind den Experten
zufolge nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Karagiannidis macht
klar, dass auch sie «einen ziemlich mitnehmen» könnten und man
ebenfalls mit deutlichen Krankheitssymptomen und sehr eingeschränkt
im Bett liegen könne, teils für längere Zeit.

Auch Ciesek verweist darauf, dass Infizierte, auch wenn sie laut
Definition nicht schwer erkrankt seien, viel betroffener von einer
Omikron-Infektion sein können als von einem «banalen Schnupfen». Sie

mahnt, niemand wisse, wie der individuelle Verlauf sei, wenn man
erkranke. Omikron auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich gar
vorsätzlich zu infizieren, sei der falsche Weg.

Auch Ältere und chronisch Kranke im Fokus

Neben den Ungeimpften ist es die Gruppe der Menschen höheren Alters,
die den Experten auch in der Omikron-Welle besondere Sorgen macht.
Bei den Über-60-Jährigen sei die Inzidenz derzeit noch
vergleichsweise niedrig, so Karagiannidis. «Da müssen wir unglaublich
gut hingucken in den nächsten Wochen.» Bei vollständig geimpften
hochaltrigen Menschen gebe es immer wieder Impfdurchbrüche - mit
welcher Krankheitsschwere sich diese entwickeln, bleibe abzuwarten.
«Es wird sich noch viel stärker dahin verschieben, dass Ungeimpfte
und Ältere von Infektionen betroffen sein werden.»

Bei gesunden, jungen Erwachsenen sei das Risiko eines schweren
Verlaufs vor allem mit Impfschutz sehr gering, bei Omikron noch
reduzierter, so Kluge. Doch er betont, dass dies sich mit zunehmendem
Alter ändere: Man wisse, «dass der stärkste Risikofaktor, schwer zu
erkranken, das Alter ist». Mit jeder Dekade steige das Sterbe-Risiko.

Für Menschen mit schweren Vorerkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauf-
oder Lungenerkrankungen könne eine Infektion, besonders wenn sie
ungeimpft seien, ebenfalls extrem gefährlich sein. «Alter und
Vorerkrankungen scheinen bei Omikron genau die gleiche Rolle als
Risikofaktoren zu spielen wie bei Delta und vorherigen Varianten»,
stellt Kluge klar.

Entwarnung bei Kindern?

Experten nehmen an, dass Corona-Infektionen für Kinder und
Jugendliche allgemein weniger kritisch sind als für Erwachsene. Das
liege daran, dass ihr Immunsystem anpassungsfähiger sei und das Virus
stärker schon in den Atemwegen abgefangen werde, erklärt der
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
(DGKJ), Jörg Dötsch. Mit Blick auf Omikron verweist er auf
US-Studiendaten, nach denen für Unter-Fünfjährige das Risiko, ins
Krankenhaus zu müssen, ein Drittel so groß sei wie bei Delta.

Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte,
schildert aus seinem Berufsalltag in einer Berliner Kinderarztpraxis,
die meisten derzeit positiv getesteten Kinder seien «völlig gesund
und symptomfrei». Sie kämen wegen positiver Schnelltests in den
Schulen zum PCR-Test in die Praxis und nicht wegen Beschwerden.
Einige Kindern hätten Schnupfen, teils Husten und Fieber oder
Magen-Darm-Probleme.

Dötsch erklärt, gerade bei Jüngeren könne die Infektion auch
Fieberkrämpfe bewirken. Bei Omikron fielen die Symptome aber in der
Regel leichter aus als etwa bei Delta. Bei den seltenen schweren
Verläufen bei Kindern könnten allerdings schwere Atemprobleme bis hin
zur Beatmung auftreten. Auch Komplikationen an den Blutgefäßen wie
Blutgerinnsel seien denkbar, sagt Dötsch. Weil diese Dinge bei
Kindern so viel unwahrscheinlicher seien als bei Erwachsenen, könne
man aber sagen: «Bei Kindern in der Gesamtheit ist der Verlauf
milder.»