Virologe: Omikron nicht «mild» - Krankenhäuser vor neuer Welle

Seit bald zwei Jahren bestimmen die Corona-Pandemie und die damit
verbundenen Einschränkungen den Alltag. Der Münchner Virologe Oliver
Keppler hält die Prophezeiungen eines baldigen Endes der Pandemie für
gefährlich.

München (dpa) - Die deutschen Krankenhäuser steuern nach Einschätzung

des Münchner Virologen Oliver Keppler auf erneut sehr hohe Zahlen von
Corona-Patienten zu. Die Wucht der Infektionswelle wird sich nach
Einschätzung des Wissenschaftlers in den Kliniken niederschlagen.
«Eine Verharmlosung von Omikron wäre daher fatal, die häufig zu
lesende Einordnung als «mild» halte ich für brandgefährlich», sag
te
der Leiter der Virologie an der Münchner
Ludwig-Maximilians-Universität der Deutschen Presse-Agentur.

Die Ausgangslage in Deutschland sieht Keppler wegen des
vergleichsweise hohen Durchschnittsalters der Bevölkerung und vieler
Ungeimpfter als schwierig an.

«In den USA sehen wir ein monströses Infektionsgeschehen mit bis zu
einer Million neuer Infektionsfälle am Tag», sagte der Vorstand des
Max von Pettenkofer-Instituts. «Dort sind mehr Covid-19-Patienten in
den Krankenhäusern als jemals zuvor in der Pandemie, und auch die
Todesfallzahlen nehmen in den letzten Wochen wieder deutlich zu. Das
ist nun alles andere als «mild».»

Vorläufige Untersuchungen aus Großbritannien und den USA deuteten
darauf hin, dass Omikron-Infektionen in der Breite etwa zwei bis
dreimal seltener zur Einweisung ins Krankenhaus führten als
Delta-Infektionen. «Aber diese neue Variante erzeugt ja eine viel
höhere Infektionsdynamik mit Neuinfektionszahlen, die zehn- bis
zwanzigfach höher liegen als in der Delta-Welle zu einem
vergleichbaren Zeitpunkt.» Darüber hinaus gab Keppler zu bedenken,
dass die langfristigen Auswirkungen von Omikron-Infektionen noch
nicht im Kontext von Long Covid untersucht werden konnten.

Deutschland sei glücklicherweise etwa vier bis fünf Wochen hinter der
Omikron-Welle in den USA und Großbritannien zurück und könne daraus
lernen, sagte der Virologe. «Auch in Deutschland werden wir bald 200
000 bis 400 000 Neuinfektionen am Tag sehen. Das wird ohne Zweifel
unsere Normalstationen in den Kliniken stark belasten und den
Regelbetrieb einschränken.»

Leider habe Deutschland «noch eine besondere Konstellation von
Demographie und Immunität, die Sorge bereitet», sagte Keppler. «Wir
haben etwa 17 Millionen Ungeimpfte, die meisten davon sind
wahrscheinlich auch ungenesen. Davon sind etwa 2,5 Millionen über 60,
haben also ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe, die
eine Behandlung auf der Intensivstation zur Folge haben können. Das
unterscheidet uns von anderen Ländern.»

Auch ein Vergleich mit dem Verlauf der Omikron-Welle in Südafrika
mache wenig Sinn. Dort sei die Bevölkerung viel jünger. Die Impfquote
liege zwar nur bei 30 Prozent, aber man gehe davon aus, dass der
größte Teil der Bevölkerung sich schon zwei- oder dreimal infiziert
habe. «Bei uns dagegen trifft Omikron auf Ungeimpfte und Ungenesene,
von denen viele im Risiko sind.»

Keppler kritisierte die Vorhersagen eines baldigen Endes der
Pandemie: «Die Leute, die teilweise jetzt schon zum dritten Mal
lautstark das Ende der Pandemie ausrufen, sollten ein bisschen
zurückhaltender sein, weil viele Menschen dann unvorsichtig werden
und größere Risiken eingehen.»

Der Virologe warnte, dass die Pandemie auch im Herbst noch nicht
überwunden sein könnte: «Basierend auf den Erkenntnissen der letzten

zwei Jahre müssen wir aber davon ausgehen, dass Menschen, die sich
jetzt mit Omikron infizieren und eine Impfung ablehnen, im Herbst
bereits fast keinen Immunschutz gegen eine neue SARS-CoV-2-Variante
mehr haben werden.»