Lehren aus Missbrauchsskandal an der Saar gefordert

Wie kann ein Arzt über Jahre hinweg Kinder in einer Uni-Klinik
missbrauchen? Im Saarland suchten Landtagsabgeordnete nach einer
Antwort. Immerhin ist man sich einig: Es darf nicht wieder passieren.

Saarbrücken (dpa/lrs) - Jahrelanger sexueller Missbrauch von Kindern
an der Universitätsklinik des Saarlandes war nur möglich, weil
zahlreiche Verantwortliche untätig oder unaufmerksam waren. Darüber
herrschte bei einer Debatte über einen insgesamt 587 Seiten
umfassenden Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
am Mittwoch im Landtag in Saarbrücken weitgehend Einigkeit. Politiker
aller Parteien versprachen, man werde alles tun, um eine Wiederholung
ähnlicher Vorfälle zu verhindern.

Uneinig waren sich die Parteien allerdings in der Frage, wer konkret
welche Versäumnisse zu verantworten hat. Deswegen gab es auch keine
gemeinsame Wertung der Ausschuss-Erkenntnisse. Das Gremium hatte seit
Ende 2019 in 33 Sitzungen insgesamt 90 Zeugen vernommen. «Ich möchte
versichern, dass die Regierung, alle staatlichen Stellen, lernfähig
und lernwillig sind, um die Sensibilität für den Schutz der
Verwundbarsten zu schärfen», sagte Justizminister Peter Strobel
(CDU).

Ende Juni 2019 war bekannt geworden, dass ein 2016 gestorbener
Assistenzarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uni-Klinik in
Homburg von 2010 bis 2014 mehrere Kinder bei Untersuchungen sexuell
missbraucht haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte damals wegen 34
Verdachtsfällen ermittelt, das Verfahren aber nach dem Tod des Arztes
eingestellt. Die Eltern der betroffenen Kinder waren lange nicht
informiert worden - das geschah erst im Sommer 2019. Wenig später
wurde auch wegen Missbrauchsvorwürfen in der HNO-Klinik ermittelt.

«So etwas darf sich nie wieder wiederholen», sagte die Abgeordnete
Jutta Schmitt-Lang (CDU). Schon seit 2010 habe es erste
Verdachtsmomente gegen den Assistenzarzt gegeben, jedoch «keine
erkennbare Reaktion» der Klinikleitung. Auch auf einen anonymen Brief
mit Anschuldigungen gegen den Assistenzarzt habe man nur halbherzig
reagiert. «Mich lässt ratlos zurück, dass man gerade in der Leitung
einer Kinder- und Jugendpsychiatrie so oberflächlich auf die Vorwürfe
reagierte.» Sie sei «enttäuscht», dass sich der Klinikleiter dem
Ausschuss nicht gestellt habe, sagte Schmitt-Lang.

2013 habe die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Arzt
eingestellt, der 2014 aber von der Klinik entlassen worden sei. Das
Gesundheitsministerium habe davon nichts erfahren. Zudem habe die
Klinik entgegen der Rechtslage durchgesetzt, dass die Eltern der
missbrauchten Kinder nichts von den Verbrechen erfuhren. Der Klinik
sei offensichtlich der eigene gute Ruf wichtiger gewesen.

«Der Untersuchungsausschuss war eine harte Nummer», konstatierte der
Abgeordnete Jürgen Renner (SPD). Man habe «menschliche Abgründe»
gesehen. Keiner der diversen Hinweise auf Missbrauch sei
weiterverfolgt worden. Es habe eine «Kultur des Wegschauens und des
Schweigens» und eine «fatale Aneinanderreihung» von Überheblichkeit

des Klinikdirektors, Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen und
Unterlassungen gegeben.

Während die CDU davon ausging, dass die damalige
Justiz-Staatssekretärin Anke Morsch (SPD) informiert gewesen sei,
meint die SPD, es gebe Hinweise darauf, dass der damalige
Gesundheits-Staatssekretär Stephan Kolling (CDU) und möglicherweise
auch die Staatskanzlei unterrichtet gewesen sei.

«Nicht alle, aber viele Fragen sind nach wie vor offen», sagte Dennis
Lander (Die Linke). «Wie konnten so viele Menschen so lange
stillhalten?». Seiner Ansicht nach wusste die Landesregierung seit
2016 von dem Skandal. Lander wurde in der Debatte zweimal gerügt,
weil er Morsch der «Lüge» bezichtigt hatte. Inzwischen wird der
Skandal mit Blick auf die Opfer von einer Unabhängigen
Aufarbeitungskommission (UAK) des Klinikums bearbeitet.