Fleißig, ehrgeizig - und ein Kriegsverbrecher? Prozess gegen Arzt Von Eva Krafczyk, dpa

In den medizinischen Arbeitszeugnissen wird er als fleißig und
ehrgeizig beschrieben. In der Anklageschrift als Kriegsverbrecher,
der folterte. Nun hat in Frankfurt der Prozess gegen einen syrischen
Arzt begonnen.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, förmlich
zusammengesunken in seinem Parka und mit vor dem Körper gefesselten
Händen betritt Alaa M. den Gerichtssaal. Vor dem Oberlandesgericht
(OLG) Frankfurt muss sich der 36 Jahre alte syrische Arzt seit diesem
Mittwoch wegen Verbrechen wegen die Menschlichkeit verantworten.

Eine gute Dreiviertelstunde dauert die Verlesung der Anklageschrift,
in der die Bundesanwältinnen auch auf die gewaltsame Niederschlagung
der Opposition in Syrien nach dem Arabischen Frühling und ausführlich
auf die Situation in den Militärgefängnissen eingehen - Gefängnissen

wie jenes in Homs, in dem auch M. gefoltert haben soll.

Laut Anklage arbeitete er zwischen April 2011 und Ende 2012 als
Assistenzarzt in einem Militärkrankenhaus in seiner Heimatstadt Homs.
Dort sowie in einem weiteren Militärkrankenhaus in Damaskus und im
Gefängnis des syrischen Militärischen Geheimdienstes in Homs soll der
Angeklagte inhaftierte Zivilisten, die der Opposition gegen
Machthaber Baschar al-Assad zugerechnet wurden, gefoltert haben.

Exzessive Gewalt, Folter in allen Bereichen von der Notaufnahme bis
zu den unterirdischen Kellern, in denen Gefangene unter
katastrophalen Bedingungen zusammengepfercht waren - M. soll Teil des
Systems gewesen sein und vor Arztkollegen sogar mit seinen Taten
geprahlt haben.

So habe er Kollegen erzählt, er «habe heute eine Küchenschabe mit
Füßen getreten», heißt es in der Aufzählung der Anklägerin. Bei
einer
anderen Gelegenheit habe er damit angegeben, mit der Verbrennung von
Genitalien «eine neue Foltermethode erfunden zu haben». Unter den
Opfern dieser brutalen Gewalt war laut Anklage auch ein 14 bis 15
Jahre alter Junge. Der Orthopäde soll Knochenbrüche ohne Narkose
behandelt und einem Gefangenen auf entzündete Wunden getreten sein.

Der Angeklagte, mittlerweile ohne Parka, in weißem Hemd und Jackett,
hört der Verlesung der Anklage mit halb geschlossenen Augen und
leicht vorgeneigtem Kopf zu. Den neben ihm sitzenden Dolmetscher
braucht M., der seit 2015 in Deutschland als Arzt praktiziert, nicht.
Auch zur eigenen Person äußert er sich in akzentgefärbtem, aber gutem

Deutsch: Er komme aus einer christlichen Familie, sei verheiratet und
habe zwei Kinder. Dass er auch im Ausland praktizieren wollte, sei
ihm bereits früh klar gewesen. Noch während seines Studiums besuchte
er nach eigenen Angaben zwei Sprachkurse in England, entschied sich
dann aber 2009, lieber Deutsch zu lernen.

Diese Zielstrebigkeit wird auch in den Arbeitszeugnissen bescheinigt,
die anschließend verlesen werden. Immer wieder wird der Mann als
ehrgeizig und zielstrebig beschrieben, höflich gegenüber Vorgesetzten
- einer, der seine Pflicht erfüllt. Bemerkenswert: Laut Lebenslauf
und den Bescheinigungen, die auch die Grundlage für seinen
Arbeitsvertrag mit einer Klinik in Nordhessen bildeten, war er von
2010 bis 2015 durchgehend im Städtischen Krankenhaus Damaskus
beschäftigt. Von Militärkrankenhäusern ist darin keine Rede. In der
kommenden Woche will sich M. in seiner Einlassung vor Gericht zu den
gegen ihn erhobenen Vorwürfen äußern.

«Wir werden Punkt für Punkt und Schritt für Schritt die Wege unseres

Mandanten darstellen und dann werden wir das (mit den Zeugenaussagen)
vergleichen», kündigt einer der Verteidiger nach dem ersten
Prozesstag an. «Was wir heute in der Anklageschrift der GBA
(Bundesanwaltschaft) gehört haben, werden wir widerlegen.»

«Der heutige Prozessbeginn ist ein klares Bekenntnis der deutschen
Justiz zum Weltrechtsprinzip, und zum humanitären Grundgedanken des
Völkerstrafrechts, betont Anna Zabeck, Oberstaatsanwältin und
Anklagevertreterin in dem Verfahren, nach dem ersten Prozesstag. «Das
Verfahren ist ein starkes Signal gegen die Straflosigkeit schwerster
Verbrechen gegen die Menschlichkeit.»

Auf Aufklärung und mehr internationale Aufmerksamkeit hofft auch die
kleine Gruppe von Syrern, die aus mehreren Städten Deutschlands, aus
den Niederlanden und Frankreich angereist ist. Einige haben syrische
Flaggen bei sich, auf denen «Freiheit» steht. Sie halten Plakate hoch
mit den Bildern von Menschen, die als verschwunden gelten. Viele
haben selbst Angehörige, die oft viele Jahre inhaftiert waren - so
wie der Vater und Onkel des syrischen Exilaktivisten und Journalisten
Sakher Edris, der aus Paris zu dem Prozess angereist ist.

«Die Syrer haben die Hoffnung in die internationale Gemeinschaft
verloren nach all den Jahren voller Massaker, der Verhaftungen, der
Gewalt», sagt Edris. «Aber jetzt, nach Koblenz und nun hier in
Frankfurt, das ist ein Funke Hoffnung für uns, dass Täter zur
Verantwortung gezogen werden und die Straflosigkeit endet.»

Und er berichtet über sein Gespräch mit der Mutter eines
verschwundenen jungen Mannes, die ihre ganze Hoffnung auf die
internationale Justiz setzt, auch wenn sie die Hoffnung für ihren
Sohn aufgegeben habe. «Sie hofft nur, dass er inzwischen tot ist -
dann kann er wenigstens nicht mehr gefoltert werden.»

Erst in der vergangenen Woche war der nach Angaben der
Bundesanwaltschaft weltweit erste Strafprozess um Staatsfolter in
Syrien vor dem Oberlandesgericht Koblenz zu Ende gegangen. Der Syrer
Anwar R. wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht
rechtskräftig.