«D-Day» für Johnson? Parteiinterne Rebellen wollen Premier stürzen Von Benedikt von Imhoff, dpa

Genießt Boris Johnson noch das Vertrauen seiner Konservativen Partei?
Hinter den Kulissen brodelt es, immer mehr Tories scheinen an seinem
Stuhl zu sägen. Die Luft für den britischen Premierminister wird
dünner.

London (dpa) - Die parteiinternen Gegner des britischen
Premierministers Boris Johnson wittern ihre Chance zur Rebellion. Wie
mehrere britische Medien in der Nacht zum Mittwoch berichteten,
wollen zahlreiche Abgeordnete seiner Konservativen Partei dem
Regierungschef das Misstrauen aussprechen. Es sei gut möglich, dass
damit jene 54 Stimmen erreicht werden, die für ein Misstrauensvotum
gegen Johnson nötig sind. «Seine Zeit ist abgelaufen», zitierte der
«Telegraph»-Reporter Hope einen Parlamentarier. Schon am Mittwoch
drohe Johnson der «D-Day», der Tag der Entscheidung.

Zu einer Misstrauensabstimmung in der Fraktion würde es kommen, falls
sich 15 Prozent der 360 konservativen Abgeordneten gegen Johnson
aussprechen - was 54 Stimmen entspricht. In geheimer Wahl in der
Fraktion müsste der Premier dann mindestens 50 Prozent der Mitglieder
auf seine Seite bekommen, um die Abstimmung zu überstehen. Johnson
steht seit Wochen erheblich unter Druck wegen Enthüllungen über
Partys im Regierungssitz während des Corona-Lockdowns. Sein Ansehen
in der Bevölkerung und der Partei gilt bereits als schwer beschädigt.

«Ich glaube, wir haben es geschafft», zitierte die gut vernetzte
BBC-Reporterin Laura Kuenssberg einen gegen Johnson aufbegehrenden
Tory. ITV-Moderator Robert Peston twitterte, mehrere konservative
Abgeordnete seien sich einig, dass Johnson gehen müsse. Es sei nur
noch nicht klar, ob sie schon jetzt vorpreschen oder bis zur
Veröffentlichung eines internen Untersuchungsberichts warten. Bisher
haben sieben Tory-Parlamentarier dem Premier ihr Misstrauen
ausgedrückt, hinter den Kulissen war aber bereits von mindestens 30
Rebellen die Rede. Nach Zählung der «Times» haben 58 Abgeordnete
Johnson öffentlich kritisiert.

Für Aufsehen sorgt vor allem, dass es sich bei den neuen Stimmen um
Abgeordnete handeln soll, die erst aufgrund von Johnsons fulminantem
Wahlsieg 2019 ins Parlament gekommen sind. Sie hatten sich am
Dienstag im Büro von Alicia Kearns getroffen. Weil deren Wahlkreis um
den Ort Melton Mowbray bekannt für Schweinefleisch-Pasteten ist,
sprechen Medien von einem «Pork Pie Putsch».

Johnson hatte am Dienstag Vorwürfen seines Ex-Beraters Dominic
Cummings widersprochen, er habe in der «Partygate»-Affäre gelogen.
Niemand habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass eine Veranstaltung
im Mai 2020 im Garten seines Amtssitzes gegen die damals geltenden
Corona-Auflagen verstoßen könnte, beteuerte der Premier. Die Zeitung
«Guardian» nannte das Interview mit dem Sender Sky News, bei dem
Johnson wiederholt ins Stottern geriet und nach Worten rang,
«verheerend». Dem 57-Jährigen schlug auf breiter Basis Spott
entgegen. «Niemand hat mich gewarnt, dass die Party gegen Regeln
verstößt, sagt der Mann, der die Regeln gemacht hat», titelte die
Zeitung «Independent».

Johnson kämpft seit Wochen um sein Amt. Um Kritikern den Wind aus den
Segeln zu nehmen, will er am Mittwoch - wie von konservativen
Hardlinern seit langem gefordert - einige Corona-Regeln aufheben, die
er erst kurz vor Weihnachten wegen der Ausbreitung der
Omikron-Variante wieder eingeführt hatte. Dazu zählen die Vorgabe,
möglichst von Zuhause zu arbeiten, sowie Impfnachweise als Bedingung
für die Teilnahme an größeren Veranstaltungen. Zudem soll die
Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichem Nahverkehr wieder
aufgehoben werden, wie die BBC berichtete.

Das Ende der Maßnahmen gilt als zentraler Punkt von Johnsons Plan zur
Besänftigung seiner Partei, getauft auf den Namen «Operation Red
Meat» - «rohes Fleisch», das den kritischen Abgeordneten hingeworfen

wird. Dazu zählen auch Vorhaben wie ein Ende der Beitragszahlungen
für die BBC und der Einsatz des Militärs gegen Migranten im
Ärmelkanal.

Die Tory-Rebellen scheinen sich jedoch nicht mehr von ihrem Vorhaben
abbringen zu lassen. Retten könnte den Premier höchstens noch, dass
es keinen klaren Herausforderer gibt, hinter dem sich seine Gegner
sammeln könnten. Als mögliche Nachfolger gelten Außenministerin Liz
Truss, die Johnson öffentlich ihre volle Unterstützung zugesichert
hatte, sowie Finanzminister Rishi Sunak. Der Schatzkanzler vermied
bislang ein Bekenntnis zum Premier und hat sich zuletzt rar gemacht.

Johnson schloss einen Rücktritt auch am Dienstag nicht explizit aus.
Er wolle das Resultat der internen Untersuchung abwarten, sagte er.
Der Bericht könnte bereits am Freitag veröffentlicht werden, doch
auch ein späterer Termin sei möglich, hieß es in London. Am Mittwoch

stellt sich der Premier im Unterhaus traditionell den Abgeordneten.