Fast alle Kommunen und Landkreise in Hessen sind Hotspots

Das Land hat Kriterien definiert, ab wann ein Kreis oder eine Stadt
«Hotspot» ist. Aber was heißt das, wenn inzwischen fast das gesamte
Land die Latte reißt?

Wiesbaden (dpa/lhe) - Hotspot - das klingt nach einem punktuellem
Corona-Ausbruch, nach einem regional begrenzten, zeitlich
beschränkten Ereignis. Bald aber dürfte das in ganz Hessen der Fall
sein: Am Dienstag galten laut Sozialministerium bereits 23 von 26
hessischen Gebietskörperschaften als Hotspots. Dort gelten strengere
Maßnahmen in fast allen Bereichen. Das stößt auf Widerspruch. Die
Landesregierung aber hält an der Regelung fest.

Hotspot wird eine Kommune oder ein Landkreis, wenn an drei
aufeinanderfolgenden Tagen die Inzidenz über dem Wert 350 liegt. Zu
dann geltenden Regeln gehören ein Alkoholverbot an belebten Orten und
Plätzen sowie eine Maskenpflicht in Fußgängerzonen. Bei
Veranstaltungen mit mehr als zehn Personen sowie im Kultur-, Sport-
und Freizeitbereich, in der Gastronomie und bei touristischen
Übernachtungen gilt drinnen die 2G-Plus- und draußen die 2G-Regel.

Am Dienstag waren nur drei Kreise in Nordhessen kein offizieller
Hotspot: der Landkreis Kassel, der Schwalm-Eder-Kreis und der
Werra-Meißner-Kreis. Wobei das nur eine Frage der Zeit sein dürfte,
denn allein der Werra-Meißner-Kreis liegt in Hessen derzeit noch
unter der Grenze von 350 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in
sieben Tagen - die anderen beiden sind schon drüber. Spitzenreiter
bei der Inzidenz ist die Stadt Frankfurt mit 1220 am Dienstag.

Die Regelungen in der Corona-Pandemie sind nach Auffassung des Hotel-
und Gastronomieverbandes Dehoga für die hessische Hotellerie nicht
praxistauglich und zu kompliziert. Während es in der Gastronomie eine
einheitliche Linie gebe, stünden Hotelmitarbeiter vor einer Vielzahl
von Fragen, sagte der Dehoga-Geschäftsführer Julius Wagner.

Sie müssten in Nicht-Hotspot-Regionen prüfen, ob die 3G-, 2G- oder
2G-plus-Regel anzuwenden ist, ob der Gast aus privaten Gründen, als
Tourist oder aus beruflichen Gründen kommt. Treffe sich ein
übernachtender Tourist zum Frühstück mit einem Bekannten, gelte für

den einen die 2G-Regel, für den anderen wegen der Bestimmungen in der
Gastronomie die 2G-plus-Regel. Theoretisch vereinfachten sich durch
eine Einstufung als Hotspot die Kontrollen durch die Verschärfungen,
sagte Wagner. Allerdings könnten dann auch weniger Menschen kommen.

Der Landessportbund Hessen sieht gewisse «Ermüdungseffekte» bei den
ehrenamtlichen Vereinsführungen. Die Kombination von Bundes-, Landes-
und kommunalen Auflagen, der Wechsel zwischen hessenweiten Regeln und
regionalisierten Auflagen mit Hotspots und Eskalationskonzept, die
schnelle Abfolge von immer neuen Regeln «stellen eine hohe
Herausforderung für ein ehrenamtliches System dar», sagte
Hauptgeschäftsführer Andreas Klages. «Dies setzt das Vereinssystem
unter einen hohen Stresstest.» Allerdings: «Ein vollständiger
Lockdown wäre «worst case» und insofern noch schlimmer.»

Auch die Kultur sieht sich belastet. Der Museumsverband Hessen
berichtet, der Zuspruch zu den Museen sei «überwiegend sehr
verhalten». Da bislang sowieso schon Kontrollen durchgeführt würden,

bedeute 2G-plus keinen besonderen Mehraufwand. Kleinere Häuser hätten
zum Teil schon vor diesen Regelungen entschieden, momentan nicht zu
öffnen. «Generell würden wir uns natürlich eine differenzierte Sich
t
auf die lokale und regionale Situation beim Infektionsgeschehen
wünschen. Wir begrüßen aber, dass der Zugang zu Kultur weiterhin
möglich ist», sagte Geschäftsführerin Christina Reinsch.

Selbst für das Autokino im Neu-Isenburger Stadtteil Gravenbruch gilt
laut Landesverordnung nunmehr die 2G-Regel ab einer Zahl von zehn
Besuchern. Theaterleiter Heiko Desch hat dafür wenig Verständnis -
schließlich seien die Besucher in ihren Autos vor Ansteckungen
geschützt. Er habe versucht, die Behörden davon zu überzeugen, eine
Ausnahme zu prüfen, doch das sei gar nicht erst in Erwägung gezogen
worden, sagte Desch: «Ich find's ein Unding.»

Die hessischen Amateurtheater seien generell von der Krise stark
betroffen, sagte der Präsident des Verbandes Hessischer
Amateurtheater, Jörg Dreismann. Ob nun die Vorgaben 2G oder 2G-plus
lauten - das ändere an dieser Situation maßgeblich nicht viel. Er
setzt seine Hoffnungen darauf, dass mit dem Sommer wieder mehr
möglich sein wird. Einige Gruppen hätten mit schwindender Motivation
ihrer Mitglieder zu kämpfen und mit der Tatsache, dass nach zwei
Jahren Corona-Pandemie die finanziellen Rücklagen aufgebraucht seien.
Der Verband vertritt rund 250 Amateurtheater in Hessen.

Bei «Dona Carmen», einer Beratungsorganisation für Prostituierte,
stößt die Schließung der Bordelle im Zuge der Hotspot-Regelungen auf

scharfe Kritik. «Die Schließung von Prostitutionsstätten - von der
Zwei-Sexarbeiterinnen-Wohnung bis hin zum Großbordell - ist ein
mutwilliger Akt der Willkür: Mit einem Schutz vor Corona oder mit
einer angeblich bevorstehenden Überlastung des Gesundheitssystems hat
all dies nicht das Geringste zu tun», heißt es in einer Stellungnahme
der Organisation.

Die Landesregierung verteidigte die Hotspot-Regelung: Man entscheide
«abhängig von der Gesamtsituation» über eine Änderung der Maßna
hmen.
Dabei beziehe das Land «alle maßgeblichen Indikatoren und auch
Prognosen und Empfehlungen der Wissenschaft» mit ein. Nachdem ein
sprunghafter Anstieg der Fallzahlen durch die Omikron-Variante
prognostiziert wurde, habe die Landesregierung zum 17. Januar
entsprechend angepasste Maßnahmen beschlossen.

«Hessen setzt bereits seit geraumer Zeit auf ein Zusammenspiel
verschiedener Kriterien zur Bestimmung der pandemischen Lage - dabei
spielt die Belastung der Krankenhäuser, insbesondere die Situation
auf den Intensivstationen, eine große Rolle», hieß es aus Wiesbaden.

«Die Inzidenz ist ein weiteres wichtiges, aber schon lange nicht mehr
das einzige Kriterium. Die an Inzidenzen geknüpften
Hotspot-Regelungen sind zwischen den Ländern und mit dem Bund so
vereinbart worden. Kurzfristig sind daran keine Änderungen geplant.»

Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen im hessischen Landtag
haben mit Blick auf die Corona-Krise eine Fortführung der
pandemischen Notlage beantragt. Damit solle der Weg frei gemacht
werden, um wie geplant drei Milliarden Euro zur Bewältigung der
gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der
Corona-Pandemie in den Landesetat 2022 einzustellen, teilten die
beiden Fraktionsvorsitzenden Ines Claus (CDU) und Mathias Wagner
(Grüne), am Dienstag im Landtag mit.